1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
was deine Lippe fordert!« – »Warum hörst du nur danach, Ludwig«, antwortete Bernhard fast lächelnd. »Aber es ist nun nichts weiter zu tun, und so wollen wir uns hier in den Schnee setzen und unser Schicksal ruhig erwarten. Wir kommen indessen doch wenigstens wieder zu Atem.«
Bianka fühlte, daß sie vergeblich bitten würde. Schweigend setzte sie sich daher auf den kalten Boden nieder und nahm das Kind in den Schoß. Bernhard und Ludwig setzten sich ihr zur Seite, legten den Arm um sie, drückten das schöne edle Wesen sanft an sich und erwarteten so in gemeinsamer süßschmerzlicher Umarmung ihr Geschick.
Jetzt hörten sie den Hufschlag der Pferde hinter der Spitze des Schneehügels, um den sich der Fluß wand; noch eine Minute, und ihr Los war gefallen. Sie blickten nicht auf, sondern hielten sich in inniger Umschließung und erwarteten gleichsam mit gebeugtem Haupt den Streich des Todesschwertes, das über ihnen schwebte. Die Reiter sprengten heran, dicht an ihnen hielten sie, und eine Stimme fragte auf russisch: »He, ist das dort Weselowa?« Bianka fuhr, da sie diese Worte aus gebildetem Munde hörte, freudig auf; aber mit einem unbeschreiblichen Laut rief sie, als sie das Angesicht des Fragenden erblickte: »Allmächtiger Gott, Rasinski.« Mit aufjauchzender Freude sprangen Ludwig und Bernhard bei diesem Wort empor und zugleich warf sich Rasinski vom Pferde und in ihre Arme. Auch Boleslaw und Jaromir, die sich unter den nachfolgenden Reitern befanden, flogen heran und an die Brust der Freunde: »Ihr lebt, ihr lebt! und hier müssen wir uns finden!« tönte der Ruf aus jedem Munde, und das Herz vermochte sein überschwellendes Glück nicht zu fassen, und heilig selige Tränen netzten selbst Rasinskis Heldenangesicht.
Bianka hing in seinen Armen wie eine Tochter an der Brust des Vaters. Der gewaltige Strom der Geschicke hatte die nichtigen Unterschiede und Grenzen, mit denen der Mensch sich kümmerlich umgibt, mächtig hinweggerissen. Zwischen den Edeln standen keine Schranken kleinlicher Gewohnheit und Sitte mehr, die der Argwohn um sich her zieht, die aus den verderbten Keimen der Seele aufwachsen. Das erhabene Glück und Unglück vernichtet alles Trügerische und Falsche in der menschlichen Brust, und nur das geläuterte Herz bleibt zurück, und das edle schlägt an dem edlen.
Die schäumend aufbrausende, halb betäubende Minute voll überschwenglicher Seligkeit war vorüber; ihr folgte eine lächelnde Ruhe, wie der Strom nach dem prächtig donnernden Wassersturz in sanften Wellen dahinzieht und die ganze Tiefe des Äthers in sich abspiegelt. Auch schmerzliche Rückblicke fehlten nicht; Willhofens, Regnards, Jeannettens Schicksal wurde erzählt. Rasinski hörte es mit wehmütigem Blick der Trauer. Dann wandte er sich zurück, deutete auf die wenigen, die ihm folgten, und sprach mit tiefbewegter Stimme: »Das sind alle, die ich von meinen Getreuen aus jenem mörderischen Kampf zurückbringe! Wir sind hierher – versprengt!«
Eine ernste Stille herrschte umher; jeder bedachte mit düsterm Nachsinnen, welche Opfer in dieser Stunde des Wiederfindens gefallen waren! Endlich begann Rasinski: »Damit wir von diesen wenigen Freunden keine mehr verlieren, so laßt uns aufbrechen; dort liegt Weselowa, dort hoffe ich über den Fluß zu kommen. Jenseits, denke ich, sind wir geborgen.« Er hob die entkräftete Bianka mit dem Kinde auf sein eigenes Pferd und leitete es am Zügel. Boleslaw und Jaromir boten Ludwig und Bernhard ihre Rosse an, doch diese schlugen sie aus, weil sie sich noch kräftig genug fühlten, den Weg zu Fuß zu machen.
So brachen sie auf. Nach einer Stunde hatten sie den Ort erreicht; ein litauischer Bauer führte sie auf Rasinskis Fragen nach einer Furt, wo der Strom nicht volle Mannshöhe tief war; trotz seiner treibenden Eisschollen wagten sie sich mutig hinein, Rasinski saß bei einem seiner Leute mit auf, Bernhard und Ludwig schwangen sich auf Jaromirs und Boleslaws Roß. Diesmal lauerte keine Tücke finsterer Mächte auf sie, sie erreichten glücklich das jenseitige Ufer, und nun endlich gerettet aus diesen furchtbaren Drangsalen, erhoben sie Blick und Herz dankbar gen Himmel.
Vierzehntes Buch.
Erstes Kapitel.
Ein langes Krankenlager hatte Lodoiska in betäubenden Fesseln gehalten; ihr Leben in dieser Zeit war nur einem schweren Traume zu vergleichen, in welchem sie ohne Bewußtsein litt und genoß, je nachdem düstere oder holde Gestalten auf den bewegten Wellen ihrer Brust
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