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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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vorübergleiteten. Die Bilder der Außenwelt fielen nur durch einen trüben Flor, mit dem das dämmernde Halbbewußtsein sie verhüllte, in ihre Seele. Bisweilen erkannte sie die, welche pflegend an ihrem Lager saßen, zumeist aber waren sie ihr fremd, und sie sprach irr und mißkennend aus der Welt ihrer Träume zu ihnen. Es war eine Wohltat für die Unglückliche zu nennen, daß die Krankheit ihr nicht das volle Bewußtsein ihres Zustandes ließ, denn bei der Reizbarkeit ihrer Gefühle würde sie dem Seelenschmerz, der sich nicht auf eine andere Art Luft gemacht hätte, erlegen sein durch innerlich geheimes Untergraben.
    Nach einigen Wochen fing die Heftigkeit des Übels an sich zu brechen, und man durfte hoffen, daß nun die Klarheit des Bewußtseins zurückkehren würde. Marie freute sich dessen mit schwesterlicher Rührung, doch die Gräfin sah diese Wiederkehr zur Wahrheit des Lebens mit immer wachsender Sorge, denn der Genesenden mußte mit dem Begreifen der Wirklichkeit um sie her auch die Erkenntnis der Ursache ihres tiefen Leids zurückkehren, und dann war zu fürchten, daß das Übel sich entweder mit tödlicher Heftigkeit erneuern, oder in eine stille, aber desto unvertilgbarere, alle innersten Lebenskräfte verzehrende Schwermut verwandeln werde. Ach, und leider konnte ihr niemand auch nur einen Schein des Trostes geben, denn seit jenen unglückseligen Zeilen Jaromirs waren keine Briefe von dem Heere angelangt, mit Ausnahme einiger flüchtigen Worte von Rasinski, die ein durchgehender Kurier mitgebracht hatte; diese aber sagten nichts, als daß alle Freunde noch am Leben seien, und waren sichtlich in großer Eile geschrieben, nur um den Augenblick nicht vorübergehen zu lassen, der sich zu einem Gruß in die Heimat darbot. Die Gräfin dagegen hatte sogleich nach Empfang des Unglücksbriefes von Jaromir ihrem Bruder geantwortet und ihn um die genaueste Auskunft über die Ursache seiner schonungslosen Anklage gebeten. Eine Antwort auf ihren Brief konnte sie freilich jetzt noch nicht erwarten; allein das plötzliche Verstummen aller übrigen, denn auch Marie hatte keine Zeile erhalten, erfüllte sie mit düstern Ahnungen.
    »Was werden wir dem armen Mädchen sagen,« sprach sie daher eines Morgens zu Marien, während die Kranke schlummerte; »wenn sie nun erwacht und uns fragt: ›Sprecht, war es ein Traumbild, was mich mit so tödlichem Gift der Angst und Schmerzen durchdrang? oder gibt es auf dieser Erde so fürchterliche Wahrheit?‹ Was werden wir ihr antworten, wenn dieser sanfte Schlummer sie wieder in das helle Bewußtsein ihrer unschuldigen Seele hinüberführt?«
    »Ich glaube nicht,« sprach Marie, »daß sie die Wahrheit erfahren darf; wir müssen versuchen, sie mit einem Gewebe milder Täuschung zu umspinnen, bis ihr Herz wieder stärker geworden ist und dies scharfe Gift zu fassen vermag. Der unglückselige Brief darf ihr nicht vor Augen kommen; wir müssen sie glauben machen, daß es eine Täuschung ihrer Krankheit ist, ihn erhalten zu haben.«
    »Das wäre möglich, wenn wir ihr andere Briefe zeigen könnten,« erwiderte die Gräfin; »so wird sie höchstens auf die Vermutung geraten, Jaromir sei tot, und dieser Gedanke, diese Furcht quält die Arme vielleicht noch schrecklicher. Ach, ich sehe kein Heil aus diesen dunkeln Verwirrungen, und ich hoffe auch keins, denn längst habe ich mich daran gewöhnen müssen, daß die Blüten meiner Freuden sich nur öffnen, um durch rauhe Stürme des Geschicks herabgeschüttelt zu werden, damit jeder Schritt der rauh forteilenden Zeit sie tiefer in den Boden trete!«
    Das düstere Gespräch wurde durch den Eintritt eines Dieners unterbrochen, der die Auflösung der Zweifel in der Hand trug; denn er brachte Briefe von Rasinski. Hastig griff die Gräfin danach und erbrach sie, um so schnell als möglich Gewißheit zu erlangen. Sie fand den Brief ihres Bruders, in welchem derselbe Jaromirs ganzes trauriges Geschick erzählte, und den, welchen der Unglückliche nach seiner Genesung an Lodoiska geschrieben hatte, um in seiner tiefsten Reue sich die Buße der gänzlichen Verbannung aus ihrem Herzen aufzulegen. Die Gräfin hatte schweigend bis zu Ende gelesen, während Marie mit fragenden Blicken an ihr hing und ihre Mitteilung erwartete; und doch wagte sie es nicht, sie zu unterbrechen, weil sie wußte, daß ihr Schweigen kein vergeßliches, noch weniger ein teilnahmloses war, sondern zu der starken selbständigen Eigentümlichkeit der Gräfin gehörte, mit der

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