1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
treue Tier, das ihn in so mancher Schlacht getragen, endete. Es verging keine halbe Stunde, so stürzte auch Boleslaws Pferd, und gleich darauf Jaromirs. Die trotz des herannahenden Mittags immer wachsende Kälte hauchte mit tödlichem Atemzuge Menschen und Rosse ohne Unterschied an und warf sie um so leichter nieder, je mehr die Anstrengung sie erschöpfte. Der Weg zog sich eine kaum bemerkbare Anhöhe hinan; doch sie war spiegelglatt. Als Biankas Schlitten sich derselben näherte, vermochte das Tier nicht, ihn hinaufzuziehen; sie stieg sogleich ab, doch es fruchtete nichts. Zweimal setzte das Roß an; Ludwig, Bernhard, Jaromir, Boleslaw, Rasinski selbst suchten Hilfe zu leisten. Allein es war vergeblich; das Tier vermochte sich selbst nicht mehr zu tragen, es stürzte zu Boden und erstarrte in wenigen Minuten. Ruhig sprach Bianka zu den sie umgebenden Freunden: »Ich werde nun ganz euere Mühen teilen, und es soll mir nicht schwer werden. In dieser grimmigen Kälte ist das Gehen so besser.«
Bernhard erwiderte nichts; er nahm ihr stumm das Kind aus den Armen und trug es. Ludwig unterstützte die Geliebte; so wandelten sie düster schweigend nebeneinander hin. Sie schlugen einen neben der Straße hinlaufenden Pfad ein, der bequemer schien, und wo sie von den Massen nicht so gedrängt waren; nur einige einzelne hatten ihn gewählt. Bianka ging mit Ludwig voran; Bernhard folgte in einiger Entfernung mit dem Kinde, dessen ahnungslose Munterkeit, da Biankas Sorge es selbst gegen diese Kälte völlig geschützt hatte, in einem die Brust erschütternd bewegenden Abstich gegen das Entsetzen ringsumher stand. »Du bist ein kleiner Schmetterling, der im aufgespannten Rachen eines Haifisches flattert«, sprach Bernhard halb für sich. »Aber ich weiß dich ebenso gern hier, als ich dich einem schlafenden Tiger das bunte Fell streicheln sehe. Schelmchen, lachst du?«
In diesem Augenblicke rief ihn eine brüllende Stimme von hinten her an: »Steh', Hund! Gib mir deinen Pelz, oder ich schieße dich nieder!« Bernhard fuhr auf und herum. Ein Soldat, in elende Lumpen gehüllt, groß, mit verwilderten Zügen, langem, struppigem Bart, das Gesicht von Erde und Rauch geschwärzt, die blutig entzündeten Augen wild rollend, stand vor ihm und schlug mit dem Gewehr auf ihn an. »Was willst du, Unglücklicher?« rief Bernhard von Entsetzen ergriffen und trat schaudernd einen Schritt zurück; das Kind schrie ängstlich auf, umklammerte ihn und verbarg das Köpfchen an seinem Busen. – »Deinen warmen Pelz, oder ich schieße dich nieder!« rief der Wütende. »Hier gibt's keine Kameradschaft mehr; ich habe so gut ein Recht mich zu retten wie du.«
Bernhard sah sich fast allein mit dem erbitterten Mörder; obwohl Tausende zu errufen waren, so würde der Schuß des Verzweifelnden doch allen zuvorgekommen sein, wenn auch ein einziger noch so viel Herz für fremde Gefahr gehabt hätte, um deshalb seinen Weg und seine Qual um einige mühselige Schritte zu verlängern. Er mußte also der Drohung Gehorsam leisten, obwohl er wußte, daß er mit der wärmenden Bekleidung sein Leben hingebe. »Du willst durch den Mord eines Kameraden dein Leben fristen?« antwortete er mit der Würde der festesten Entschlossenheit; »wohl denn, es sei, aber du wirst dich dessen nicht lange freuen. Deine Stunde wird dich doch ereilen.«
»Rasch! denn schon packt mich der Tod«, rief der wahnsinnige Mensch, der fortwährend im Anschlag liegen blieb und die blutigen Augen wild in ihren Höhlen rollte. Bernhard bückte sich, um das Kind niederzusetzen, das ihn am Ausziehen seines Pelzes hinderte; da hörte er einen lauten Schrei, und als er sich umwandte, sah er Bianka, die sich weinend zu den Füßen des Wütenden niederwarf. »Nimm dies Gold, diesen Schmuck,« rief sie, »nimm diesen warmen Mantel, nur laß mir den Bruder leben!« Mit der Schnelligkeit der Todesangst hatte sie eine reiche Kette von ihrem Halse gerissen und warf ihren kostbaren Pelz ab, so daß sie mit leicht bekleideten Armen, der grimmigen Kälte preisgegeben, vor dem Mörder kniete.
Dieser blickte sie mit starren Augen an, dann ließ er die Arme mit der Waffe langsam sinken, das Gewehr entfiel ihm, er drückte sich beide Hände vors Gesicht und brach in ein lautes Wimmern und Weinen aus. Indessen war auch Ludwig näher getreten, und er und Bernhard hoben die noch immer kniende und die Arme mit ihren Gaben ausstreckende Bianka empor. »Solch ein wildes Tier konnte ich werden?« rief der Fremde
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