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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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plötzlich aus; »nein, diese Schmach überlebe ich nicht. Vergebt mir; ihr habt mich einst besser gekannt, die fürchterliche Qual machte mich rasend! Aber ich weiß, was ich zu tun habe!« Bianka hing mit Blicken, in denen die zweifelnde Besorgnis mit dem Ausdruck der höchsten Freude wechselte, an dem seltsam grauenhaften Menschen, da dieser sich jetzt nach dem am Boden liegenden Gewehr bückte und es aufnahm. Bernhard hielt das Auge fest auf ihn gespannt und suchte in seiner Erinnerung nach den Zügen, die ihm selbst in dieser entstellenden Verwilderung bekannt schienen. »Wo habe ich euch gekannt?« fragte er, als sich der Fremde emporgerichtet hatte. – »Ich wundere mich nicht, daß ihr mich nicht wiederkennt,« antwortete er düster; »ich hätte mich selbst nicht erkannt. Des Ordens hier bin ich lebend nicht mehr wert!« rief er wild und riß das Band der Ehrenlegion aus seinen Lumpen heraus und warf es in den Schnee; »so will ich's zu verdienen suchen, daß ihr's auf meine Leiche legt. Ich richte meine Tat selbst, wie sie es verdient.« Indem stemmte er den Kolben seines Gewehrs gegen den Boden, drückte die Brust auf die Mündung und trat gewaltsam mit dem Fuße gegen den Hahn. Der Schuß krachte, der Unglückliche stürzte zusammen.
    »Barmherziger Gott!« rief Bianka entsetzt und sank bewußtlos in Ludwigs Arme. Bernhard sprang auf den Gefallenen zu und richtete sein Haupt auf. Noch glimmte ein matter Lebensfunke in der Brust. »Wenn ihr nach Frankreich kommt, grüßt mein Weib und meine Buben – Sergeant Ferrand – aus Laon.« Er war nicht mehr. In dem Augenblicke, wo er das Auge schloß, erkannte ihn Bernhard. Er war derselbe Sergeant Ferrand, dessen streng dienstliches, aber menschenfreundliches Benehmen ihm und Ludwig bei ihrer Gefangenschaft zu Smolensk das Leben gerettet hatte. Die Bedingung seines Daseins war die kriegerische Ehre; er glaubte sie durch die meuchelmörderische Tat, zu der ihn die Betäubung des Elends, der Schmerzen, der Verzweiflung trieb, verloren; eine Jungfrau hatte ihn an Mut besiegt – das ertrug er nicht. Streng richtend sprach er selbst sein Urteil und vollstreckte es mit eigener Hand. Erschüttert kniete Bernhard neben der Leiche; stumm nahm er das Band, welches der Tote als sein höchstes Gut geschätzt hatte, legte es auf seine Brust und sprach: »Wer will dir's rauben? Es schmücke dich jenseits, wenn du in den Kreis der Tapfern trittst, die dir vorangingen. Leb wohl!«
    Sie setzten ihren Weg fort, denn hier galt kein Verweilen. Unerbittlich riß das Schicksal die Herzen voneinander, und jagte die säumende Liebe mit grimmiger Geißel vorwärts.

Fünftes Kapitel.
    Die kalte Scheibe der Sonne rötete sich schon wieder und senkte sich gegen das Schneemeer hinab, als die Wandernden Malodeczno in der Ferne einer Stunde vor sich sahen. Die Hoffnung, ein Obdach zu erreichen, belebte die gesunkenen Kräfte wieder. Doch als wollte das Schicksal jeden leisesten Schimmer des Glücks nur gewähren, um die Kräfte für ein neues größeres Unheil aufzuregen, so folgte auch hier der Schrecken mit furchtbarer Eile der Freude nach. Denn plötzlich bedeckten sich die Höhen mit schwarzen Massen; der Feind, auf andern Wegen herangedrungen, erschien, um den unglücklichen Flüchtlingen den Zufluchtsort für die Mitternacht streitig zu machen. Bei dem ersten Anblick dieser dunkeln Linien, die den Horizont zu säumen begannen, drängte sich die Schar der waffenlosen Flüchtigen wie eine Herde zusammen, in die ein Wolf einbricht. Der Marschall Ney rief mit lauter Stimme den Bewehrten zu, sich um ihn zu sammeln. Noch gab es einige Trümmer des kriegsgewohnten Heeres, die selbst jetzt das Gesetz der Ehre noch nicht vergessen hatten. Die Reihen ordneten sich, die wenigen Reiter schlossen sich, wenngleich aus allen Regimentern gemischt, aneinander, die Artillerie, soviel durch die noch am Leben gebliebenen Pferde hatte fortgeschafft werden können, nahm eine Stellung. »Kameraden,« rief der Marschall, »wir müssen heut um ein Obdach fechten; denn die Winternacht ist mörderischer als die Waffen des Feindes. Auch ihn treibt nur die Not; ihr vernichtet ihn, wenn ihr euch behauptet. Denkt an euer Heil, an Frankreichs Ruhm, an euern Kaiser!«
    »Es lebe der Kaiser!« tönte der Ruf der Heldenschar, die nur den fernen Donner der Schlacht hören durfte, um inmitten der schwersten Drangsale den begeisterten Mut wiederzufinden, der sie durch alle Länder Europas geführt hatte. – »Wir haben

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