1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
keine Pferde,« rief Rasinski den Seinigen zu, »laßt uns das Geschütz bedienen, denn es fehlt an Mannschaft.«
Ein dumpfer Donner ertönte von den Höhen; die ersten Kugeln wurden herabgesandt; sie flogen, auf dem erstarrten Boden widerprallend, in weiten sausenden Bogensprüngen über die zur Schlacht geordneten Krieger hinweg. »Ihr schießt zu hoch, wir wollen besser treffen«, sprach Rasinski keck scherzend, und lehnte sich auf das Geschütz, um es zu richten. »So! Jetzt Feuer!« Jaromir feuerte ab. »Seht ihr, wie die Kugel eine Lücke reißt?« rief Rasinski freudig, als die schwarze Linie auf der Höhe zerriß, daß der helle Himmel dahinter sichtbar wurde. »Ich wollte nur, sie ständen so tief als breit, so sollte ihnen dieser Schuß dreißig Köpfe gekostet haben.«
Der Kampf war eröffnet; die Artillerie des Feindes donnerte jetzt von drei Seiten zugleich, und die Kugeln schmetterten sowohl in die Schar der waffenlosen Flüchtlinge, die in blinder Hast auf den Flecken Malodeczno zustürzten, als in die geordneten Reihen der Tapfern, die ihr Leben für die Rettung jener wagten, verheerend hinein. »Wir müssen uns langsam zurückziehen,« befahl der Marschall, »daß sie sich nicht zwischen uns und den Flecken eindrängen, denn sonst sind wir alle eine Beute des heißhungerigen Winters.« Die Artillerie gab noch eine Lage zur Erwiderung, dann nahm sie eine Stellung einige hundert Schritte weiter rückwärts. Die Truppen folgten geschlossen. So gewann man ohne ein sehr ernstliches Gefecht nach und nach eine Stellung dicht am Eingange Malodecznos. Aber diese kurze Bewegung hatte die Kräfte der Artilleriepferde so erschöpft, daß sie jeden Augenblick übereinander stürzten und endlich nicht mehr emporzubringen waren. Was Hände hatte, mußte daher angreifen, um die Geschütze vollends auf einen Hügel zu schaffen, von dem sie den Eingang des Fleckens verteidigen konnten. »Retten können wir unsere Kanonen nicht mehr, Kameraden,« rief der Marschall, als er an den Reihen derselben hinuntersprengte, »so wollen wir sie wenigstens teuer verkaufen.«
Die Russen waren langsam feuernd nachgerückt; jetzt schienen sie ihre Kräfte zu sammeln, um einen stürmenden Angriff zu versuchen. Doch sowie sie sich in vollen Kolonnen zeigten, gab die Artillerie der Franzosen eine furchtbare Salve, die tausendfachen Tod in ihre Reihen schleuderte. Die Erde zitterte, die Lüfte krachten, Rauch und Dämmerung webten einen dichten Schleier der Nacht über das Heer. Der Feind füllte seine Lücken und rückte entschlossen weiter vor, indem er den Angriff durch seine Artillerie unterstützte. Eine zweite Lage stäubte ihn zum zweitenmal auseinander. Doch immer neue Scharen drangen nach; er hatte Ersatz für seine Toten, denn er focht mit Tausenden gegen Hunderte und schien den Gewinn des Fleckens um jeden Preis erkaufen zu wollen.
Rasinski, Boleslaw, Jaromir, Bernhard und Ludwig bedienten ein Geschütz; denn auch diese letztern hatten es für eine Pflicht der Ehre gehalten, tätigen Anteil am Kampfe zu nehmen und ihre Freunde, obwohl sie nicht mehr die Uniform des Regiments trugen, nicht jetzt zu verlassen, wo entschlossene Männer den zehnfachen Wert galten. Auch war der Gedanke, mit den Freunden vereinigt zu bleiben, der einzige Trost, die einzige Quelle ihrer Hoffnungen und Freuden in dieser Zeit des öden Grauens. Nur für Bianka hatten sie einen Ort des Schutzes aufgesucht, wo diese, so gesichert als es überhaupt möglich war, in ihrer Nähe bleiben konnte. Gegen Malodeczno hin senkte sich, dicht hinter der Stellung, die die Artillerie einnahm, der Hügel etwa in Mannshöhe fast ganz steil abwärts und bildete so eine natürliche Brustwehr. Dort weilte Bianka mit dem Kinde, während oben die Schlacht tobte. An dieser Stelle waren auch die Munitionswagen aufgefahren, aus denen die Batterien auf der Höhe mit allem Schießbedarf versehen wurden.
Obwohl Bianka für sich selbst nichts zu befürchten hatte, so schlug doch ihr Herz in krampfhafter Angst, da sie die Geliebten wenige Schritte von sich allen Schrecken des Todes preisgegeben wußte. So teuer sie es Bernhard gelobt hatte, den sichern Zufluchtsort nicht zu verlassen, so konnte sie doch, da das Krachen der Kanonen bis zu einer betäubenden Stärke wuchs, ihrer Angst nicht länger gebieten. Sie mußte den Hügel hinan, um zu sehen, ob die Ihrigen noch verschont waren von dem Geschick, das seinen eisernen Todesstrom mit donnernden Wogen über das Gefilde wälzte.
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