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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Besorgnis. »Mir ist wohl, Lieber,« erwiderte sie; »ich bin an dieses Klima gewöhnter als du. Auch sind wir ja noch so gut mit Kleidern versehen.« – »Durch deine Sorge und Güte«, fiel Ludwig ein. »Doch wehe den Unglücklichen, die keinen so dichten Schild gegen die scharfen Pfeile dieser Kälte haben!«
    Das zunehmende Getön des Jammers umher entriß diese Worte fast unwillkürlich den Lippen Ludwigs. »Haltet euch dicht beisammen, Freunde,« ermahnte Rasinski; »in diesem Gedränge verliert man einander gar zu leicht.« Diejenigen, welche erwacht waren, hatten sich aufgerafft und eilten den Feuern zu, die draußen brannten, weil sie sich dort zu erwärmen hofften. Zugleich trieb sie der Hunger an, indem sie die während der Nacht von den wachenden Kameraden bereiteten Speisen zu genießen dachten. Doch bei weitem nicht alle hatten die Kräfte, dies nahe Ziel zu erreichen. Die meisten taumelten, von Schlaf und Kälte betäubt, übereinander hin; viele blieben regungslos am Boden liegen. Müdigkeit und Frost hatte sie so gelähmt, daß sie sich nicht aufzurichten vermochten; die Macht des Willens war auch bei den Stärksten gebrochen, und sie zogen es vor, in dumpfer Erstarrung den Tod zu erwarten, als sich zu neuen Martern emporzuraffen.
    Bernhard und Ludwig nahmen Bianka, die das dicht in Pelze gehüllte Kind Alisettens trug, in ihre Mitte. Rasinski ging mit Boleslaw und Jaromir vor ihnen her; die noch übrigen Leute des Regiments folgten nahe hinter ihnen. So erreichten sie, über manchen am Boden Liegenden und schwer Aufstöhnenden dahinschreitend, das Freie. Der Schnee kreischte pfeifend unter ihren Füßen; die Luft schien mit einem eisigen Staub erfüllt, der beim Atmen fast stechend auf die Brust fiel; Augen, Lippen, Wangen fingen an zu schmerzen, sowie der Hauch des nicht heftigen, aber schneidend scharfen Windes sie traf.
    Einige Trommeln erschallten mit dumpfem Klang, um zum Aufbruch zu mahnen; doch dieses Zeichen, wobei sonst der Krieger aufmerksam wie eine Gemse das Haupt erhebt und mit den Waffen in der Hand gerüstet aufspringt, verhallte jetzt wie in einem Totengewölbe. Mit größester Mühe setzte sich endlich die Masse in Bewegung, indem sich, als ob jedes innere Band losließe, einzelne Teile von dem Ganzen lösten und so nach und nach die Straße nach Westen einschlugen.
    Auf einem Hügel, der vom Dämmerschein des Schnees, der hellen Sterne und der Feuer seltsam beleuchtet wurde, stand ein großer stattlicher Mann in den Pelzmantel gehüllt und überschlug mehrfach die Arme, um sich zu erwärmen. Mit lauter Stimme rief er: »Hierher zu mir! Das erste Armeekorps, hierher!« Es war der Marschall Davoust. Nach und nach sammelte sich ein kleines Häuflein, der Überrest seines ganzen Heeres, um diesen ausdauernden Krieger, den kein Elend, kein Verderben die Rettung aufgeben ließ, die das Gesetz der Ordnung und des Gehorsams in sich trägt. An der Spitze der Seinigen schritt er zu Fuß, mit den Soldaten jede Beschwerde, wie mit seinen nächsten Offizieren jedes Gute teilend, was sein Rang ihm selbst unter diesen alles furchtbar gleichmachenden Geschicken vorausließ.
    Glücklicherweise hatten die Pferde Rasinskis noch ein leidliches Obdach gefunden. Dennoch waren zwei vor Entkräftung und Kälte gefallen. Man saß auf. Bianka bestieg ihren kleinen Schlitten, Ludwig und Bernhard gingen zu Fuß so dicht als möglich an demselben, und die beiden jetzt unberittenen Leute von Rasinskis Regiment schlossen sich ihnen an.
    Der anbrechende Tag, der sonst immer die Hoffnungen wieder neu erweckte, die in der schauerlichen Nacht erstorben waren, hatte heut diese Kraft verloren; denn mit dem Licht wuchs die schneidende Schärfe der Kälte, und als das blutige Auge der Sonne über den Schnee hereinglühte, schien es nur mit Hohn auf das Elend so vieler tausend Unglückseliger herabzublicken; denn nicht die leiseste Spur der Wärme war in den Strahlen, die ihren roten Schimmer in das Antlitz der Wandernden warfen, zu spüren. Nur in das Auge, das, schon vom Schneeglanz geblendet, vom Rauch und Schein der nächtlichen Lagerfeuer entzündet war, drangen sie mit brennendem Schmerz ein und fügten eine neue Folter zu der Last von Qualen, unter denen die Unglücklichen zusammenbrachen. Als Bianka sah, wie Ludwig und Bernhard das Auge zuckend abwandten und vergeblich einen Gegenstand suchten, wohin sie den Blick ohne Schmerzen wenden könnten, fiel ihr plötzlich ein Hilfsmittel ein. »Wartet, wartet wenige

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