1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
verzweifelten Kampfe des Todes stürzen die Unseligen zu Boden, ihr lauter Jammerton verliert sich in ein leises Ächzen und Wimmern, und bald zeigt das Verstummen ihrer letzten Seufzer an, daß der starre Tod ihre Qualen geendet hat. So bildet sich ein schauderhafter Kreis von Leichen um den der Lebenden.
Biankas zu weiches Herz hätte diesen Foltern nicht widerstanden; ihre Milde würde sich so lange selbst geopfert haben, bis das Verderben ihr eigenes Haupt ereilte. Doch über ihr waltete die Gnade des Erbarmers; noch ehe das Gräßliche sich an ihrer Seite begab, hatte tiefer, totenähnlicher Schlaf eine Binde um ihr Auge gelegt, daß sie das Schauspiel des Entsetzens nicht sah; die dämmernde Hülle des Vergessens umwob ihre Seele mit tiefen Schleiern. Es war das süßeste Labsal, welches die Hand der Gnade an dieser grauenvollen Stätte reichen konnte. Ludwig und Bernhard ruhten zur Seite der Schlummernden und schützten sie durch ihre Nähe. Gegen Bernhards Brust hatte sich Jaromir ängstlich schauernd gedrückt; ein innerer Frost schien ihn fieberartig zu schütteln, denn der Gewalt des Winters hatte sein jugendlicher Körper bisher ausdauernder getrotzt als irgendeiner der Gefährten; doch jetzt brach er sogar sein tiefes, beängstigendes Schweigen und fing, was in seiner Art nicht lag, bitterlich an zu klagen. »Mich friert, Bernhard, die Kälte umschleicht mir lauernd das Herz. Ach, laß mich an deiner Brust ruhen! – Und hier, hier glüht es wie Feuer!« Dabei streifte er sich mit der Hand schwer über die Stirn, als wolle er den brennenden Schmerz lindern.
Mit tiefstem Erbarmen blickte Bernhard ihn an, denn das Auge des Jünglings irrte unstet umher und verriet die Verwirrung seines einst so hellen Geistes. Die stumpfe Betäubung desselben, welche die Freunde bisher mit banger Sorge beobachtet hatten, ging nun in eine wilde, ängstigende Aufregung über, deren zerstörendes Gift die Keime des Lebens schnell vernichten mußte. Nur Schlummer, tiefer erquickender Schlummer konnte Rettung bringen, doch schien es, als ob sein milderndes Öl gegen die aufgetürmten Wogen der qualbeladenen Seele nichts mehr vermöchte; denn der Schlaf, der nach dieser ungeheuern Anstrengung jedes Haupt mit bleierner Last zu Boden drückte, sobald die Anspannung des Willens nur einen Augenblick nachließ, gaukelte um den Ermatteten nur wie ein gescheuchter Nachtschmetterling und senkte die sanften Schwingen nicht herab. »Komm, komm,« sprach Bernhard mit dem ganzen Ausdrucke der Liebe, »laß dein heißes Haupt hier an meiner Brust ruhen, der Schlaf wird es bald kühlen. Trinke mit uns diese Flut des Lethe, damit wir vergessen, was ringsum geschieht. Alles vergessen, ist ja das Beste, was wir hier von den Göttern erbitten können! Komm, komm, schlafe, mein Bruder!« – »Ja, vergessen!« seufzte Jaromir schwer, indem er sich schauernd an den Freund drängte; er umklammerte ihn fester mit seinen Armen und drückte das Haupt gegen seine Brust. Bernhard fühlte, wie der Unglückselige fieberhaft zitterte, und schloß ihn mit Freundesangst und Liebe an sein Herz. »Nur dieses eine Leben,« flehte er innerlich, »erhalte uns, Allmächtiger; die Wunde würde das schönste Herz zu grausam durchschneiden!« Doch die Erschöpfung ließ den Gesunden nicht lange wach; wenige Augenblicke und er lag fest umwunden von den Armen des Schlafs und wußte nicht mehr, ob ein Freund an seiner Brust, eine Schwester ihm zur Seite ruhe.
Rasinski allein saß wachend in dem Kreise, über dem jetzo eine tiefe grauenvolle Stille waltete. Regungslos, als hätte der starre Tod sie hingestreckt, waren die Gefährten umhergelagert; der düstere Schimmer der Glut beleuchtete die von seltsam abenteuerlicher Tracht umhüllten Gestalten. Immer zuerst für andere sorgend, hatte Rasinski es auch zuerst übernommen, des Feuers zu wahren. Er schürte die Glut, daß die Funken in langer Garbe aufsprühten, und warf frisches Holz hinein, junge Tannenzweige, von denen eine schwarze Rauchsäule düster emporwirbelte und über die Häupter der Schlummernden hinwegzog. Finster blickend, den Arm auf das gebogene Knie, das Haupt in die Hand gestützt, saß der heldenmütige Mann, und schwere Gedanken zogen durch seine Seele. Er überblickte den Lauf seines Lebens. Was war es gewesen? Schmerz und Qual, heißes Sehnen, Streben und Drängen, Arbeit und Mühen, Wagnis und Gefahren – und nirgends Lohn als das Zeugnis der Ehre und des Rechts in der eigenen Brust. Von
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