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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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nähern und sicherern Wege zu erreichen. Zugleich entzog der Wald sie den Blicken des etwa verfolgenden Feindes. Die Kälte trieb zur möglichst raschen Wanderung an, so daß man, als die dunkelrote Scheibe der Sonne am Horizont emporstieg und ihre ersten Strahlen durch die düstern Gitter der Fichten warf, schon eine bedeutende Strecke zurückgelegt hatte. Bianka trug die Beschwerden mit heldenmütiger Entschlossenheit; man hörte keinen Klagelaut, keinen Seufzer von ihr, wiewohl ihr zarter Körperbau unter solchen Anstrengungen erliegen zu müssen schien. Ja selbst ihr Blick wurde nicht traurig und besorgt, und da sie das Sprechen vermeiden mußte, sah sie doch Bernhard und Ludwig oft mit freundlichen Augen an, als wollte sie sagen: »Bekümmert euch nicht um mich; es geht mir wohl.«
    Endlich gebot die Erschöpfung einige Augenblicke der Rast, so gefährlich diese bei der Kälte war; denn sobald der Schlaf den ermüdeten Körper übermannte, stand auch schon der Tod lauernd hinter dem sanftern Bruder, um das Augenlid, das dieser mild herabgesenkt hatte, mit eherner Hand auf ewig zu schließen. Rasinski hieß die Freunde sich auf einen starken Baumstamm, der am Wege lag, niedersetzen; er selbst ging auf und nieder und bewachte die ihm Anvertrauten mit sorgender Treue, damit keinen der Schlummer überfalle. Diesen Dienst leisteten alle einander gegenseitig. So brachten sie zwei Mittagsstunden, meist sitzend und somit ruhend zu. Dann setzten sie den Weg fort und erreichten am späten Abend Smorgoni. Die Stadt war voller Truppen, doch Rasinski traf durch einen glücklichen Zufall den Marschall Ney, der ihm für sich und die Seinigen ein Obdach verschaffte und ihn dann sogleich zu sich berief.
    Nach einer Stunde kam er zurück. »Um des Himmels willen, was ist dir?« fragte ihn Bernhard, der ihn noch nie so verstört gesehen hatte. – »Ihr werdet's zeitig genug erfahren,« erwiderte Rasinski, »bis jetzt ist es ein Geheimnis.« Schweigend setzte er sich nieder und stützte das Haupt in die Hand. Alle hielten sich still, niemand wagte ihn mehr zu fragen; sie ehrten seinen stummen Schmerz.
    Bernhard beobachtete ihn unvermerkt. Sein dunkles Auge heftete sich an keinen bestimmten Gegenstand; er blickte nur starr vor sich hin und schien die Gegenstände, auf die es traf, nicht zu bemerken. Von Zeit zu Zeit erhob er den Blick gen Himmel, und eine große Träne drang daraus hervor und rann über die Wange herab. Endlich stand er auf. Er schien den Kampf mit seinem Schmerz überstanden zu haben. »Und was ist's denn mehr? – Es mußte so sein! – Er hatte recht!« murmelte er vor sich hin. Dann unterbrach er sich plötzlich und sprach freundlich: »Ach ihr Lieben, hört nicht auf mich – ich bin zerstreut. Es liegt mir etwas schwer im Sinn. Der Schlaf wird alles versöhnen.«
    Mit diesen Worten hüllte er sich in den Mantel und legte sich auf den Boden nieder, wo die Leute seines Regiments schon seit einer Stunde fest schliefen. Jaromir lag in einer andern Ecke des Zimmers. Er hatte sich, ohne ein einziges Wort laut werden zu lassen, gleich bei seiner Ankunft niedergelegt. Seine Züge glichen denen eines Toten, so unbeweglich und gleichgültig erschienen sie. Ludwig, Bianka und Bernhard waren allein noch wach. Sie blickten einander wehmütig an, aber keiner wagte es, seine Besorgnisse zu gestehen. Eine öde Beklommenheit preßte ihnen die Brust zusammen; nur ihre unendliche Liebe leuchtete mit sanftem Schimmer in diese finstere Nacht hinein und tröstete das verzagende Herz.
    So verstrich abermals eine Nacht, bis die Dämmerung zu neuen Gefahren und Qualen erweckte. Als sie zum Aufbruch gerüstet waren, trat Rasinski unter die Freunde und sprach: »Jetzt kann ich euch entdecken, was mich gestern fast zermalmte. Der Kaiser hat das Heer verlassen!« – – –
    Alle blickten ihn fragend mit vor Schrecken erstarrten Zügen an. »Und er tat recht!« fuhr Rasinski fort. »Ich war gestern so erschüttert wie ihr jetzt, denn ich weiß, daß nur das unerschöpfliche Zutrauen zu diesem Riesengeiste das Leben in den Trümmern des Heeres erhielt. Aber es mußte sein. Wir können nichts mehr retten als uns selbst; der Kaiser hat größere Aufgaben zu lösen. Paris ist jetzt das Schlachtfeld, wo er gebieten muß. Hier ist alles verloren; er mußte eilen, dort alles zu retten. Wir bleiben uns selbst überlassen und wollen uns selbst genügen.« – So brachen sie auf.

Achtes Kapitel.
    Die Sonne senkte sich hinter düstere

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