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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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nicht zu verjagen ist.«
    Rasinski hatte selbst in dieser verzweifelndsten Lage weder den scharfen Blick, der mitten im Drange der Gefahren alle Rettungswege erspäht, noch die entschiedene Kraft verloren, die mit fester Hand dem brausenden Gespann des Verderbens in die Zügel fällt, und es auch dann noch zu lenken und zu bändigen versucht, wo es schon mit uns in den Abgrund zu stürzen droht. Darum war er bis jetzt, trotz der äußersten Erschöpfung, weitergewandert; denn er spähte nach einer Stelle, wo das Anlegen der Feuer ausführbar war. Überall traf er nur starkstämmiges, hochgewachsenes oder ganz junges Holz. Wie sollte das zu fällen oder in Brand zu setzen sein? Wer besaß noch die Kräfte, eine hohe Fichte hinanzusteigen und droben mit dem stumpfen Säbel oder Beil Zweige abzuhauen? Zudem war der Boden überall hoch mit Schnee bedeckt, so daß, wenn man die Feuer darauf anzündete, alles ringsum schmelzen und das Lagern unmöglich machen mußte. Hier aber hatte sein unablässig umherspähendes Auge zwei verdorrte Stämme entdeckt, deren einer halb eingebrochen gegen einen umgehauenen Nachbarstamm gelehnt war. Diese konnte man fällen, diese in Brand setzen, und alsdann war in den hochlodernden Flammen auch jüngeres Holz zu nutzen. Auch hatte er sein Augenmerk auf einen steilen Erdabsturz von einigen Fuß Höhe gerichtet, vor welchem kein Schnee lag, weil der Wind ihn im Fallen schräg über den Absatz hingejagt hatte. War es möglich, die Nacht zu überdauern, so konnte es am sichersten hier geschehen.
    Eilig hieß er daher die Leute von jener Stelle und jenen Bäumen Besitz nehmen, und war der erste, der selbst Hand anlegte. Bernhard, der, seit der Sergeant Ferrand ihn angefallen hatte, wieder Waffen trug, eilte mit einem breiten Hirschfänger zum Holzfällen heran. Ludwig war beschäftigt, den Schnee noch weiter hinwegzuräumen, so daß man einen freien Lagerplatz gewann. Rasinski brach mit Jaromir, der ungeheißen aber stumm alles mittat, die dünnen Zweige von den Stämmen. Die vereinte Tätigkeit so vieler Wackern erreichte in wenigen Minuten das Ziel. Eine helle Flamme loderte auf; der Boden wurde mit frischen Fichtenzweigen zur Lagerstatt bedeckt, die man dicht unter dem Abhang anlegte, um gegen den Sturm gedeckt zu sein; man schickte sich an, die sorgsam aufgesparten Nahrungsmittel zu bereiten.
    Die erwärmende Flamme flößte neues Leben in die erstarrten Glieder; die erschöpft geglaubte Kraft kehrte nach dem Genuß einiger Speise wieder zurück. Fast mit Erstaunen empfanden sie alle, daß die Natur noch nicht unterliege, und ein neuer Lichtblick der Hoffnung dämmerte ihnen auf. Das lodernde Feuer hatte bald auch fremde, einzeln wandernde Krieger herangezogen; im dichten Kreise lagerten sie sich umher, so nahe wie die Glut es zuließ. Es schien, als könnten sie sich nach der langen Entbehrung nicht ersättigen in dem Gefühl lebenerzeugender Wärme. Doch der Andrang der heranschwankenden Unglücklichen wurde immer größer. Schon gebrach es an Raum, und wollte man einen neuen Gefährten aufnehmen, so mußte ein bereits gelagerter es mit dem Opfer erkaufen, die eigene Lage zu verschlimmern. Aber es war nicht mehr die Zeit, wo einer für den andern mit menschlicher Bereitwilligkeit einen Teil seiner Vorteile aufgab, um ihn vom Verderben zu retten. Das Bedürfnis war zu dringend geworden, die Grenze zwischen Leben und Tod zu schmal. Die kleinste Nachgiebigkeit konnte so von der Flamme entfernen, daß man hinterrücks von der Kälte gepackt wurde. Darum gab es nur für einen Raum; wer ihn abtrat, mußte selbst verderben. Es war ein grauses Würfelspiel des Zufalls um Rettung oder Vernichtung. Hagere Schattenbilder schwankten aus dem Dunkel, das den Feuerkreis umgab, heran und erschienen wie gräßliche Gespenster in dem düsterroten Glänze der Flammen; vom bewußtlosen Trieb der Erhaltung gespornt, wollten sie sich in den Kreis der Gelagerten eindrängen, doch sie wurden grausam unerbittlich zurückgewiesen. Die Angst erzeugte eine ohnmächtige Wut; sie versuchten ihre Kameraden bei den Schultern, bei den Haaren zurückzureißen, doch diese setzten sich mit verzweifeltem Grimm zur Wehr und trieben die Elenden mit den Waffen zurück. Diese letzte Anstrengung der Todesangst hat die Kräfte der Hilflosen bald erschöpft; jammernd werfen sie sich auf die Knie und stehen ihre Brüder um Rettung an. Vergebens! Menschen und Himmel blieben gleich taub gegen den herzzerreißenden Ruf um Erbarmen. Im

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