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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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das Blut in den Schnee strömte. Dennoch raffte er sich auf und wankte mit Jammergeschrei der nächsten Haustür zu, an die er voll krampfhafter Angst pochte und zu seinen Glaubensgenossen um Hilfe und Erbarmen rief.
    »Helft mir diesen Gemißhandelten hinwegtragen«, bat Rasinski und wandte sich zu dem Unglücklichen, der mit erstarrenden Gliedern noch lebend auf dem Schnee lag. Sie hoben ihn empor. Sein jammervolles Stöhnen erfüllte die Lüfte; doch noch ehe sie die große Straße erreicht hatten, verstummte es, denn seine Lebenskraft war erschöpfte »Dank euch, Kameraden, es war zu spät!« das waren die letzten Worte, die seinen Lippen entflohen.
    »Ein Grab kann ich dir nicht schaffen,« sprach Rasinski finster, während sie den Leichnam auf den Boden niederlegten; »ruhe hier aus bei den Tausenden, denen die grausame Härte dieses Bodens alles, selbst die Grabstätte verweigert. Ist es denn nicht genug, daß die Natur uns mit allen ihren Schrecken unerbittlich verfolgt? Muß auch noch der Mensch zur Hyäne werden und in das Heiligtum des wehrlosen Schlafes einbrechen? « Ludwig trat teilnehmend zu ihm. »Dir soll ein sanfter Balsam des Trostes auf diese Wunden werden, sprach er; »wir haben dir eine frohe Kunde zu bringen!«–»Ihr? eine frohe Kunde?« fragte Rasinski fast bitter betonend. – »Deine Schwester und Lodoiska sind uns nah – sie sind hier, in wenigen Minuten kannst du sie umarmen.« – »Meine Schwester hier?« rief er mehr erschrocken als freudig und sah Ludwig staunend an. »O Johanna, zu welchem Anblick kommst du hierher! Also kannte man in Warschau unser Geschick! Ludwig, Ludwig, deine Nachricht ist so herb als süß! Ich war nicht gefaßt, sie jetzt zu sehen! Und doch,« setzte er weich hinzu, »daß ich sie noch sehe, welch ein unaussprechliches Glück ist das für mich!«
    Die Freunde führten ihn nach Pauls Hause; bevor sie eintraten, stand Rasinski still. »Und Lodoiska begleitet sie? Was sollen wir der Armen sagen? Jaromir liegt in düstern Träumen des Wahnsinns, sinnberaubt, rasend – vielleicht schon erlöst!« – »Und wäre sie nur gekommen, seinen letzten Seufzer zu vernehmen,« sprach Ludwig aus innerster Überzeugung, »dennoch würden ihr alle Schätze der Erde dieses Glück im tiefsten Schmerz nicht aufwiegen. Weißt du denn aber, ob ihr Anblick nicht eine heilende, rettende Wunderkraft auf den Unglücklichen ausübt?« – »So oder so! Es muß getragen sein; laß uns ein männlich gefaßtes Antlitz zeigen.« Mit diesen Worten schritt Rasinski entschlossen die Stufen hinan, und die hohe Kraft des Mutes und des Duldens thronte wieder auf seiner edeln Stirn. Indem er die Tür öffnen wollte, hielt er noch einmal inne und fragte Ludwig mit beklemmter Stimme, als zittere er vor dem Nein: » Ist auch deine Schwester hier?« – »Auch sie«, entgegnete dieser.
    Das Dunkel verbarg den Schmerz, der über sein Angesicht zuckte, und niemand gewährte die fliegende Röte, welche die Nähe dieses holden Wesens auf seine gramgebleichte Wange hauchte. Da er keinem der Freunde das Geheimnis seiner tiefsten Brust eröffnet hatte, ahnte auch keiner seine innerste Erschütterung. Er besiegte sie durch die mächtige Herrschaft des Willens, mit der er seinem ganzen Leben gebot. »Laß mich zuerst eintreten,« bat Bernhard; »dein Anblick könnte die Frauen zu heftig überraschen.« – »Meine Schwester nicht,« erwiderte Rasinski, »doch die jüngern Mädchen vielleicht. Geh' denn und erzähle, daß ihr mich gefunden.«
    Bernhard trat zu der Grafin ein; einige Augenblicke danach öffnete er Rasinski die Tür, Lodoiska flog mit einem lauten Schrei auf ihn zu und sank, das Antlitz verbergend, an seine Brust; er hielt sie mit der Rechten innig umfaßt. Die Schwester trat bebend zu ihm, lehnte sich, von seinem linken Arm fest umschlungen, gegen seine Schulter und ergoß Schmerz und Liebe in einen stummen, tränenlosen Kuß. Marie blieb beklommen, leise weinend im Hintergründe stehen. »Schwester!« sprach Rasinski nach langer tiefer Stille und löste die Umarmung. – »So müssen wir uns wiedersehen!« rief sie mit einem Ton des Schmerzes aus, der in die tiefste Seele drang. »So!« Und als sei die düstere, Wolke der beklemmenden Angst mit diesem Ausruf zerrissen, atmete sie jetzt freier auf und ein Strom von Tränen brach aus ihren Augen.
    »Tröste dich, du Edle, über das Grab hinaus reicht kein Schmerz«, sprach Rasinski mit jener Stärke, die selbst der Hoffnung zu entsagen vermag.

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