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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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strengen Kälte der Brand gleich in die meisten Wunden tritt und die Unglücklichen hinwegrafft. Das Haus ist nur ein großer Sarg, in den die Lebendigen gelegt werden.«
    Während dieser Worte hatte er mit seinen schweren Schlüsseln das Tor geöffnet, und mühsam, auf den Angeln kreischend, wurden die Flügel aufgedreht. »Ist denn über Nacht kein einziger Wärter hier?« fragte die Gräfin schauernd. – »Keiner,« erwiderte Paul, »es ist kein Raum. Hier müssen immer die Toten den Lebenden die Stätte überlassen; ehe das Bett eines Verstorbenen noch erkaltet ist, nimmt es oft schon einen neuen Gast auf.« Lodoiska schwieg; sie weinte auch nicht, sondern zitterte nur wie im heftigsten Fieber.
    Man stieg die halbverfallenen Steintreppen hinauf und ging einen langen dunkeln Kreuzgang hinunter. »Hier am Ende des Ganges in dem letzten Gewölbe rechts zur Seite fand ich eine Lagerstatt für ihn,« sprach Rasinski; »dorthin führt uns, mein Freund!« – » Dort liegt er?« fragte Paul mit erschrecktem Erstaunen. – »Warum betont ihr das so?« – »Hm! Das Gewölbe ist wüst und kalt; es liegt gerade nach der Nordseite hinaus.« – »Es war kein anderer Raum mehr zu finden, und der Arzt, den ich dort traf, versprach mir pünktliche Sorge für den Kranken zu tragen.« – »Ich glaub's schon!« erwiderte Paul, aber in einem Ton, als denke er das Gegenteil.
    Die Schritte der Wandernden hallten in dem öden Gange wider; man hörte keinen Laut, als zu beiden Seiten bisweilen ein dumpfes Wimmern und Stöhnen, das um so schauerlicher war, als es geheimnisvoll aus den Mauern selbst zu dringen schien. »Hier«, sprach Paul und öffnete eine Tür.
    Selbst Rasinski schauderte, als er jetzt in diesen Aufenthalt des Grausens trat, den er am Tage wählen mußte, um nur ein Obdach für Jaromir zu finden; denn seit dieser von Bianka getrennt war, fiel er zuerst in ein heftiges Rasen und dann in eine finstere, todesmatte Abspannung, bei der er sich nicht mehr auf den Füßen zu erhalten vermochte. Jetzt, um Mitternacht, war diese grause Höhle fast zu schauerlich, selbst für einen Bewußtlosen. Eine einzige, trübe flackernde Lampe erhellte den Raum mit halbdunkelm Schimmer. Ringsum lagen auf spärlichem Stroh kaum bedeckte Elende, teils mit entsetzlichen Wunden, oder grausenvoll verstümmelt, teils von Jammer bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Tiefschweres Atmen, dumpfes Röcheln waren die einzigen Laute, die man vernahm. Ein eisiger Hauch wehte durch das Gewölbe; denn die Fenster waren zum Teil zerbrochen, so daß Eis und Schnee wie wachsende Gletscher eingedrungen waren, die fast die Lagerstätte der Unglücklichen berührten. »Also hier!« sprach Lodoiska, indem sie eintrat, mit bebender Stimme, und das kalte Entsetzen rührte ihr an die Brust.
    Paul leuchtete einigen Kranken mit der Laterne ins Gesicht. Sie starrten ihn mit gräßlich offen stehenden Augen an, ohne eine Wimper zu rühren. »Das sind Tote, Freund,« sprach Rasinski schaudernd; »sie sind vor Frost erstarrt.« Lodoiska hielt sich wankend an die Gräfin.
    Man mußte zwischen den Reihen der Gelagerten, diesem grausen Gemisch von Leichen und Sterbenden, hindurch, so daß der Fuß fast über die Hilflosen strauchelte. Bebend am Arme Rasinskis hängend, schwebte die schöne Gestalt Lodoiskas wie die eines tröstenden Engels durch diese Räume der Verdammnis. »Es war doch gut, daß wir dich begleiteten, Kind«, sprach die Gräfin, die selbst aller Kraft bedurfte, um ihre Fassung zu behalten. – »Ich würde es auch allein gewagt haben, vertrauend auf den Beistand meiner Heiligen«, erwiderte sie mit einem frommen Blick gen Himmel.
    Paul erhob die Laterne und leuchtete nach einer dunkeln Ecke hinüber, wohin noch kein Lichtstrahl gedrungen war, weil die an der Decke brennende Lampe den Schatten eines breiten Pfeilers dahin warf. »Dort liegt noch ein Kranker«, sprach er und deutete mit dem Finger dahin. – »Allbarmherzige Mutter Gottes, das ist er«, rief Lodoiska entsetzt aus, daß der herzzerreißende Ton im Gewölbe erschallte, und sank betäubt in Rasinskis Arme zurück. Die düstere Einsamkeit des Ortes schien zu erschrecken über den Jammerlaut, der die schauerliche Stille zerriß. Rasinski umfaßte die Sinkende mit väterlichem Arm. »Ja, er ist es,« sprach er mit tiefer Stimme; »er leidet schwer!«
    Lodoiskas Betäubung dauerte nur einen Augenblick, dann gab ihr die Liebe neue Kräfte. »O laß mich zu ihm, an seinem Lager knien,« bat sie mit

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