1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Freundschaft, sondern auch weil ihr Herz, wie mächtig sie es bekämpft hatte, in stummer, heiliger Wehmut noch immer für Rasinski schlug. Paul und Axinia blieben teilnehmend wach, wiewohl sie sich bescheiden von ihren Gästen zurückzogen. In den Straßen der Stadt war es völlig still geworden; auch nicht ein leiser Laut ließ sich vernehmen. »Horch!« sprach Paul plötzlich auffahrend zu Axinien, »war das nicht, als ob jemand ächze und wimmere? Wahrhaftig, schon wieder.« Er öffnete ein Fenster und lehnte sich lauschend hinaus. »Es kommt von dort drüben aus der schmalen Gasse her, wo die Juden wohnen! – Mir ist auch, als ob ich ihre murmelnden Stimmen hörte.« Beide horchten ängstlich beobachtend auf. Nach einigen Augenblicken hörte man den dumpfen Schall eines schwer fallenden Körpers und zugleich einen kreischenden Laut des Jammers, der durch die stille Nacht herüberdrang. »Was ist das?« rief Paul. »Was geht dort vor? Hörst du, wie es jammert und winselt? Sollten diese grimmigen Teufel –«
Eine männliche Stimme rief, laut wehklagend, um Hilfe. Axinia rang geängstet die Hände. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und die Gräfin trat, ein Licht in der Hand, ein. »Was bedeuten jene fürchterlichen Töne?« fragte sie ahnungsvoll grausend. »Sie dringen schauerlich durch die Nacht; es klingt wie der Jammerlaut hilflos Sterbender. O geht, Freund seht zu, was es gibt!« Paul warf seinen Pelz über und griff nach einer Laterne. Doch Axinia hielt ihn ängstlich an und bat: »O geh' nicht allein! Wer weiß, welche Greuel sich dort begeben und ob die Wütenden nicht wieder einen ums Leben bringen! Geh' nicht allein.« – »Ich muß!« rief Paul; »die Menschlichkeit gebietet es.« – »So wecke ich wenigstens die Herren, daß sie dich begleiten«, entgegnete Axinia. – »O laß den Entkräfteten doch ihren Schlummer; und wir kämen vielleicht zu spät!« – »Nein, nein, sie sind ja angekleidet und liegen in ihren Pelzen,« erwiderte Axinia rasch und eilte in das Nebengemach, wo Bernhard und Ludwig, da es an Betten im Hause mangelte, angekleidet auf dem Strohlager fest schliefen. Die kriegerische Gewohnheit war noch so lebendig in ihnen, daß sie auf den ersten Ruf emporsprangen und sogleich ermuntert waren. »Wir begleiten euch«, rief Bernhard auf das erste Wort Pauls, und bereits hatte auch Ludwig die Pistolen ergriffen und den Hirschfänger umgeschnallt.
Paul ging mit der Laterne voran, der Gegend, aus der der Jammerruf ertönte, zu. Es war eine enge Seitengasse, die, längs der Stadtmauer hinziehend, nur von Juden bewohnt wurde. Eben wollten sie in diese einbiegen, als eine feste Männerstimme sie von hinten her anrief: »Wer da, wer seid ihr, was gibt's hier?«– »Rasinski!« rief Ludwig beim ersten Laut, und als der Laternenschein des sich rasch umwendenden Paul auf das Antlitz des Kommenden fiel, erkannte auch sein Auge den Freund. – »Rasinski! du hier und am Leben!« rief er außer sich und lag in seiner Umarmung.
»Ich habe euch wieder, euch, die ich verloren gab! Und ihr lebt! Bianka lebt?« – »Wir alle, alle«, rief Bernhard und drängte sich zu, der Umarmung. »Wir suchten dich auf, aber vergeblich!« – »Ich euch gleichfalls!« erwiderte Rasinski. Sie würden sich im Drange des Herzens ihre gegenseitigen Schicksale erzählt haben, wenn nicht eben wieder der jammernde Hilferuf aus der Gasse ertönt wäre. Rasinski entwand sich dabei sogleich den Armen Bernhards. »Diese Töne,« rief er, »haben mich aus dem Schlafe aufgejagt. Laßt uns jetzt zuerst der Hilfsbedürftigen gedenken.«
Paul mit der Laterne schritt voran, die übrigen folgten. Die Gasse war eng und gekrümmt, so daß man nicht weit vorwärts blicken und daher auch nicht so bald gesehen werden konnte. Als man die erste Biegung erreichte, und der Lichtschimmer den vorgelegenen Raum erhellte, sah man deutlich einige Gestalten, die aufgeschreckt zu flüchten schienen, an die Mauer gedrückt hineilen. »Wer da?« rief Rasinski russisch. »Steht oder ich schieße!« Aber die Schatten flogen an der Mauer hin und glitten über den Schnee hinweg. Rasinski sprang hastig nach; doch er stolperte über einen im Wege liegenden Gegenstand, fiel, und im Fallen ging seine Pistole los. Ludwig und Bernhard waren ihm rasch gefolgt und wollten ihm emporhelfen, doch er rief ihnen zu: »Vorwärts, vorwärts, verfolgt nur die Flüchtenden.«
Sie eilten nach, sahen aber nur noch eine einzelne Gestalt hastig flüchten; sie
Weitere Kostenlose Bücher