1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
hinaus,« sprach Rasinski entschlossen, »wir sind angegriffen.« – »Wir begleiten dich«, rief Ludwig ebenso rasch, und Bernhard sprang nach den Waffen die auf einem Sessel lagen. – »Nein, nimmermehr«, gebot Rasinski mit Hoheit. »Ihr habt in diesem Kampfe nichts mehr zu erfechten! Bleibt hier und behütet, was mir und euch das Teuerste ist.«
»Wir lassen dich nicht allein ins Gefecht«, rief Ludwig heftig und wollte ihn aufhalten. – »Ihr sollt, ihr müßt! Mich ruft die Pflicht hinaus, euch bindet sie hier«, erwiderte Rasinski fest und wies Ludwig zurück. – »Nein, du darfst uns das Recht, dir zur Seite zu stehen, nicht nehmen,« sprach Bernhard; »denn du kannst den Vorwurf nicht von unserer Seele wälzen, wenn du bleibst, wo Freundesbeistand dich gerettet hätte.«
Draußen ertönten die Trommeln mit furchtbarem Getöse in den engen Gassen. Wildes Geschrei, Kanonendonner, Trompetenschmettern hallten durcheinander, Volk und Soldaten liefen zusammen. »Wenn ihr je meinen Willen geachtet habt,« rief Rasinski und richtete sich mit der ihm angeborenen Würde empor, »so bleibt zurück. Gehorcht in dieser Minute mir zum letztenmal als Führer. Ich gebiete euch, bleibt.«
Die Frauen waren von Schmerz und Angst zu bewegt, um die neue Spannung, welche dieser edelmütige Streit in ihnen hätte erzeugen müssen, in ihrer ganzen Kraft zu empfinden. Unbewußt ward ihnen die so oft eintretende Wohltat strenger Schickungen, daß die von vielen Seiten zusammentreffenden Schläge einander selbst entkräften, weil die menschliche Brust, gleich einem Gefäße, nur für ein bestimmtes Maß empfänglich ist. Mag der Strom der Verhängnisse dann noch so gewaltig darüber hinbrausen, er füllt es nicht höher an, sondern das Übermaß des Schmerzes flutet unempfunden überhin.
Marie allein, die der Tod Jaromirs nur mit entfernterm Anteil berühren konnte, teilte die bange Sorge um die Wendung dieses Streites ganz. Indem sie sah, wie der edle Mann, der ihr einst seine Liebe bot und die ihre gewann, sich jetzt in die Gefahr des Kampfes stürzen und mutig dem Tode für Ehre und Vaterland weihen wollte, flammte die tiefverhüllte Glut wieder in ihr empor, und sie zitterte für das teuere Haupt. Von diesem Gefühle getrieben trat sie zwischen die Männer. »Fordert der Kampf Sie denn auch jetzt noch?« fragte sie und blickte bittend zu Rasinski auf; »ist es noch Pflicht, sich dem Tode zu weihen, wo aus dem gänzlichen Schiffbruche nichts mehr zu retten ist? O bleiben auch Sie, daß nicht die Stunde unsers Wiedersehens die des unaussprechlichsten Schmerzes werde, wenn –«
Hier brach sie ab; sie wagte nicht auszusprechen, was sie dachte und fürchtete. »Marie!« rief Rasinski mit einer Stimme, die sein ganzes Herz entfaltete, »Marie!« Er stand im heftigsten Kampfe mit sich selbst und blickte sie schmerzvoll an. Es war ihm einen Augenblick, als sei die eherne Scheidewand, die sich zwischen sie und ihn stellte, eingestürzt durch die Riesengewalt der Verhängnisse. Mit mächtigen Banden zog es ihn hinüber zu der holden Gestalt, die der Genius seines Lebens sein sollte. Doch die Täuschung dauerte nur eine Sekunde. Die rosig goldenen Nebelschleier zerrissen, das duftige Gewölk verschwebte, und die unerbittliche Wahrheit stand wieder in ihrer rauhen Majestät vor ihm, kolossaler als jemals. Nichts war geändert; die trennende Kluft gähnte nur noch tiefer auf als je zuvor. Er erkannte es und sprach fest, aber sanft: »Nein, auch diese Bitte darf mich nicht halten! Lebt wohl! Ihr bleibt!« Rasch riß er sich los und eilte hinaus.
Marie schwankte wie betäubt zurück und sank matt in die Arme des Bruders. Bernhards scharfblickendes Auge sah ihr bis in das innerste Herz; Rasinski hatte das Geheimnis seiner Brust mit einem einzigen Worte enthüllt. Also er – und sie, dachte er, und der Schmerz preßte ihm die Brust krampfhaft zusammen. »O, er läßt uns die schwerere Pflicht!« rief er ausbrechend. »Wen die tiefen Strudel des Lebens wirklich gepackt haben, der weiß, daß eine Schlacht ein lustiges Schifferstechen ist, wo die Welle nur spielend gegen den Nachen schlägt!«
Ludwig verstand den Freund nur halb, nur soweit er dasselbe Gefühl teilen konnte. »Freilich kämpfen wir den schweren Kampf der Entsagung,« entgegnete er; »doch auf seinem großen Herzen lastet das als ungeheuerer Schmerz, was uns mit freiem Fittich erhebt. Darum kämpft er schwerer und männlicher als wir!« – »O,« rief Marie aus, »o
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