1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
umhüllte – zerrissen aber auch die letzten Bande des Lebens in dem zerstörten Körper! Müde hob er das Antlitz zu der Geliebten empor, trank einen sehnsüchtigen Kuß von ihren Lippen und hauchte matt: »Nun weiß ich alles! Und du vergibst mir, Lodoiska?« – »Mein Herz kann nur lieben«, rief sie, halb erstickt von dem hervorbrechenden Strome der Tränen. Noch ahnte sie nicht, daß dieser Augenblick überdrängender Seligkeit ihr auch den Becher des tiefsten unerschöpflichen Schmerzes reichen sollte. Nur die höchste Anspannung aller Kräfte seiner Seele hielt das Leben noch in Jaromirs Brust zurück. »O, du wurdest edler, reiner, treuer geliebt als von mir«, seufzte er schmerzlich. »Boleslaw war deiner wert! Die Lippe des Sterbenden übergab mir das heilige Vermächtnis! Nun werde ich dort frei zu ihm treten können!«
Nach diesen Worten sank er bleich zurück und die Arme vermochten nicht mehr die Geliebte zu umfassen. »Allerbarmende Mutter des Heilands,« rief sie aus, als sie ihn erblassen sah, »er stirbt, er stirbt!«
Bei diesem angstvollen Rufe erwachte Marie; mit einem Blicke erkannte sie, was geschah, und eilte der Unglücklichen zum Troste herbei. »Er stirbt, er stirbt, Marie!« rief diese nochmals und rang verzweifelnd die Hände. Marie sah wohl, daß hier von menschlicher Hilfe nichts mehr zu erwarten sei. Sie gedachte daher eines Versprechens, das sie der Gräfin gestern in der Stille geben mußte, diese sogleich herbeizurufen, wenn sich etwas Bedenkliches ereignen sollte. »Ich werde die Mutter holen«, entgegnete sie daher der Jammernden und eilte ins Nebenzimmer.
Sie fand die Gräfin schon erwacht und angekleidet und Rasinski bei ihr, der sehr bewegt schien. Ihr blasses Antlitz voller Tränen weissagte nichts Gutes. »Was geschieht?« fragte die Gräfin. – »Ich fürchte, er stirbt«, war ihre leise, mit einem bedeutsamen Winke gegebene Antwort, damit Lodoiska, deren Hoffnung sie aufrechtzuerhalten suchen wollte, sie nicht vernehmen solle. Eilig und bestürzt traten beide ein. Sie fanden die Unglückliche zärtlich über den Sterbenden gebeugt, seine Hände in den ihren haltend, die er im Gefühle des nahen Todes gesucht und sanft gefaßt hatte.
Noch erkannte er die Eintretenden, denn er lächelte ihnen mit den Augen zu; aber die Sprache fehlte ihm. Durch Axinia herbeigerufen, die im Vorderzimmer Lodoiskas schmerzlichen Ausruf gehört hatte, traten jetzt auch Ludwig, Bernhard und Bianka ein und näherten sich dein Lager des Sterbenden. Bianka hatte erst in der Frühe durch Bernhard erfahren, daß Rasinski wiedergefunden sei. Auf ihn ging sie daher zu, reichte ihm die Hand zur Begrüßung und lehnte sich schmerzvoll mit ihrem schönen weinenden Haupte an seine Brust. »Dich haben wir wieder,« sprach sie, »aber doch – ein neues Opfer wird gefordert! – O, Freund!« – da erstarb ihre Stimme in Tränen, und sie mußte sich das Antlitz verhüllen.
Rasinski trat, in tiefster Seele gebrochen und erschüttert, aber doch mit heldenmütiger Zusammenraffung, an das Lager seines jungen Freundes. »Mein Sohn, erkennst du deinen Vater nicht mehr? Mein Jaromir, erkennst du deine Waffenbrüder nicht?« Das Auge des Sterbenden wandte sich der Stimme zu, und ein leises Lächeln schwebte über seine Lippe. Er bewegte die Rechte ein wenig, als wollte er sie gegen den, der ihm Vater, Bruder und Freund zugleich gewesen, ausstrecken. Rasinski ergriff sie, und Lodoiska ließ sie ihm willig.
Ein heiliges Schweigen herrschte ringsumher, nur der unwillkürliche Laut der Schmerzen unterbrach die tiefe Stille. Da erhob sich die Brust des Sterbenden noch einmal und tat einen tiefen Atemzug. »Lebt wohl. Freunde, Geliebte«, seufzte er mühsam; dann trat ihn der Tod an, seine Lippe erbleichte, das Auge brach. In stummem Jammer warf sich Lodoiska über den Toten und hielt ihn in unauflöslicher Umarmung. Die Geschwisterpaare, welche das Sterbelager umstanden, hielten sich umfaßt, es war, als sollten sie Herz an Herz die Seele ausweinen!
Fünftes Kapitel.
Da tönte in die hehre Stille der dumpf krachende Donnerschlag eines Kanonenschusses, so nahe, daß die Fenster des Gemachs klirrten. »Was ist das?« rief Rasinski und fuhr schlachtgewohnt empor. Aber noch ehe er das Wort vollendet hatte, krachte die volle Lage einer Batterie, daß der Erdboden bebte. »Heiliger Gott!« rief die Gräfin, »so nahe sind wir dem Kampfe?«
Marie stand erblassend, denn sie war dieses Klanges noch ungewohnt. »Ich muß
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