1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Blaus unter den düstern Brauen der Gewölke hervor, die, schwarz vor die Sonnenscheibe gelagert, mit feurigen, gezackten Goldrändern von ihr umsäumt worden. Mehreremal setzte der Sturm in wirbelnden Stößen an, schüttelte die Wipfel der Bäume und kräuselte den Staub zu hohen Säulen empor; in den Pausen trat daher eine desto tiefere Stille ein, und ein schwüler Druck beklemmte die Brust. Kein Vogel ließ sich hören, nur hier und da flatterte noch einer ängstlich dem Neste zu. Jetzt flammte es rotleuchtend durch den ganzen westlichen Himmel, und der zackige Blitzstrahl schoß in den Strom hinunter. Das Gewitter stand indes noch ziemlich ferne, denn es verfloß wohl eine halbe Minute, bevor das dumpfe Rollen des Donners sich vernehmen ließ, das an den Häuptern der Berge murmelnd hinlief.
»Prächtig!« rief Bernhard, »ich gebe ein Dutzend schöner Tage mit Freuden für ein Gewitter wie dieses hin. Was für Lichter auf die Landschaft fallen! Nacht und Tag in scharfen Streifen nebeneinander gelagert! Seht nur, wie der Sonnenstein drüben bei Pirna noch leuchtet und glänzt gegen die blauschwarze Wolke, die sich hinter ihm auftürmt. Und die weißen Segel dort auf der Elbe, die wie Möwen über die graue Flut hinschießen; die Schiffe ziehen ordentlich eine Schaumfurche durch die Wellen!«
Die Mädchen empfanden die wunderbare Schönheit des Schauspiels so lebhaft, daß sie sich scheuten, ihre kleinen Besorgnisse um Kleider und Hüte laut werden zu lassen. Doch zog das Gewitter mit so furchtbarer Majestät näher, daß es ein weibliches Herz doch wohl mit einiger Furcht erfüllen konnte.
»Dorthin regnet es schon stark«, bemerkte Ludwig, indem er mit dem Finger nach der Gegend deutete. – »Wo?« fragte Marie. – »Dort, rechts vom Königstein, wo die dichten, grauen und violetten Streifen sich aus dem Schoß der Wolke gegen die Erde ziehen; man bemerkt deutlich, wie der Regen mehr und mehr nach Westen vorrückt.«
»Sollte es wohl möglich sein,« fragte Marie, »daß wir Pillnitz erreichten, ehe das Wetter vollends ausbricht?« – »Kaum,« entgegnete Ludwig, »und ich möchte nicht anraten, den Versuch zu machen, da wir hier oben in dem kleinen Gewölbe des Turmes Schutz finden können, das man uns gewiß gern öffnen wird. Vielleicht aber zieht das Wetter ganz vorüber; denn der Sturm scheint so stark werden zu wollen, daß er es leicht über uns dahintreiben kann.« In der Tat zog das Gewölk jetzt so zerrissen über den Berggipfel hinweg und verdichtete sich dagegen auf der andern Seite des Stromes, daß Ludwigs Vermutung Wahrscheinlichkeit gewann. Während man noch darüber sprach, kam ein Reiter in vollem Galopp den Berg heraufgesprengt. Er brachte dem Hofgärtner die Nachricht, daß die Fahrt mit Fackeln plötzlich abgesagt sei, er daher schleunigst alle Vorbereitungen zum Empfang der hohen Herrschaften einstellen, aber dieselben auf morgen in Bereitschaft halten solle. Die Arbeiter, welche, rings von Wald umgeben, die Annäherung des Gewitters erst seit den wenigen Minuten bemerkt hatten, wo die Sonne durch das Gewölk verdeckt wurde und der erste Donner sich vernehmen ließ, beeilten sich auf diese Nachricht, ihre abgelegten Kleidungsstücke anzulegen und so schnell als möglich ein Obdach zu gewinnen. Die Mädchen warfen ihre Tücher über den Kopf und flüchteten hastig den Berg hinab. Von den Männern blieben jedoch einige auf Befehl des Hofgärtners, um das Zelt abzubrechen, das schwerlich dem Wetter getrotzt haben würde.
Diese Anstalten, besonders die Flucht der Arbeiterinnen, brachten natürlich in den jungen Mädchen, die noch auf der Höhe des Turmes standen und mühsam die im Winde flatternden Gewänder zusammenzuhalten suchten, eine erhöhte Besorglichkeit hervor. Marie meinte, so gut wie jene könne man wohl auch noch ein Obdach gewinnen, und vielleicht sei ein Gebäude in der Nähe, das sie aufnehmen könne. Ludwig sprang rasch die Treppe hinunter, um sich bei dem Hofgärtner zu erkundigen. Dieser ließ eben die zum Aufschlagen des Zeltes verwendeten Gerätschaften sowie dieses selbst in den engen Raum, welchen der Turm gewährte, bringen. Auf Ludwigs Frage entgegnete er, man werde gewiß Pillnitz noch glücklich erreichen, da man abwärts den Weg sehr schnell zurücklegen könne und die Wetter hier oben auf der Höhe, wo man dem Sturme völlig preisgegeben sei und den ganzen Horizont überblicke, immer näher und drohender aussähen, als sie in der Tat seien. Es dauere
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