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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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es gefiele mir. Verwünscht, daß ich als Maler die Linien und Winkel der vertracktesten Physiognomien genau behalte, aber die Pässe, auf die sie durch die Welt reisen, nebst allen übrigen Akzessorien des Signalements immer vollständigst vergesse; ich meine die Namen und sonstigen Umstände. Meine Gesichtserkenntnis ist groß, aber sie hilft mir nicht mehr als eine Sprache, von der ich alle Worte weiß, aber nicht die Dinge kenne, die sie bezeichnen.« – »Er fiel auch mir auf,« antwortete Ludwig; »doch habe ich für Physiognomien, die mich nicht an sich oder durch die Umstände interessieren, fast gar kein Gedächtnis.«
    »Wenn es uns nicht gestern oder heute schon aufgestoßen ist,« sprach Bernhard leicht hin, »so magst du ihn am Südpol, ich am Nordpol gesehen haben, da ich gestern von Schottland kam, du von Neapel her in Dresden einrücktest. Mich quälen dergleichen verlorene Gesichter, zu denen ich schlechterdings keine Unterschrift finden kann, oft; aber so hat mich lange keins geplagt.«–»Es schien, als kenne er dich oder mich,« entgegnete Ludwig, »wenigstens sah er uns aufmerksam an.«
    »Mag sein, daß er. sich unser beider erinnert und verwundert ist, was er diesseit und jenseit des Äquators gesehen hat, hier im Garten zu Pillnitz auf einem Breitengrade und unter demselben Meridian anzutreffen. Verdrießlich! Ich weiß, der Kerl verdirbt mir die Laune für den ganzen Nachmittag, denn ich bin überzeugt, daß ich fortwährend an ihn denken muß, weil ich eben bemüht bin, ihn mir aus dem Sinne zu schlagen.«
    »Laß es gut sein, Lieber«, meinte Ludwig. »Was ist es am Ende mehr als ein Reisender, mit dem wir in einem Postwagen oder an einer Wirtstafel gesessen haben. Verkümmere dir darum deine gute Stimmung nicht; bis auf die wenigen, scharf dissonierenden Akkorde, die du zuvor anschlugst, schien deine Seele ja so angenehm harmonisch und melodisch gestimmt, daß ich dich darum beneidete. In mir kann und will sich der blaue Frühlingshimmel über uns nicht so hell abspiegeln.«
    Unter diesen Worten hatten die Freunde die Ihren eingeholt, worauf sich Bernhard an Marien anschloß, der Rasinski bisher viel Aufmerksamkeit gewidmet hatte.
    Indessen wurde es allgemach Zeit, den Berg zu besteigen. Da dies fast eine Stunde erfordert, so hielt Ludwig es für gut, wenn die Frauen zuvor ein wenig ausruhten und eine Erfrischung einnähmen. Dies geschah im Wirtshause. Hierauf trat man die Wanderung an. Schon waren die verschiedenen Wege, die hinaufführen, sehr belebt; man sah Frauen und Männer aus allen Ständen in bunter Mischung durcheinander der Höhe entgegenklimmen. Als Ludwig mit den Seinigen die Ruine erreicht hatte, erklärte die Mutter, daß ihr das Steigen ihrer Brust halber zu beschwerlich falle, sie daher auf den Genuß der Aussicht vom Gipfel her verzichten und hier verweilen wolle, indem sie bekannte Familien aus Dresden genug erblicke, denen sie sich anschließen könne. Ihre Schwester war desselben Willens. Die jungen Leute setzten also ihren Weg allein fort, während die Mütter vor einem in den Gebüschen, nahe bei der Ruine aufgeschlagenen Zelte Platz nahmen, in welchem Erfrischungen feilgeboten wurden.
    Ludwig und Bernhard, des Weges kundig, machten die Führer. Sie suchten, wo es irgend möglich war, von der großen Straße abzuweichen und stillere Pfade zu wählen, die sich durch das Gehölz schlängelten. Hier umgab sie grüne wohltuende Dämmerung; der mit Blumen bedeckte frische Rasen hauchte liebliche Düfte aus; der Himmel leuchtete blau zwischen dem Laubgitter hindurch; Quellen rieselten und hüpften in leichten Wasserfällen über den Pfad hin und spannen ihr schimmerndes Silberband den Abhang hinunter; die Vögel sangen mit hellem Laut; tausend Insekten summten; der Frühling lebte und webte in Büschen und Blumen, in Wassern und Lüften und wiegte die Seele in träumerische Wonne. Von Zeit zu Zeit öffnete sich die Waldung und gestattete einen Blick in die Tiefe und Weite. Jetzt sah man Pillnitz, wie es sich in dem breiten Elbstrome spiegelte; jetzt schweifte das Auge über weite blaue Höhen hinaus, der böhmischen Grenze zu. Und hielt man an, wo sich rückwärts ein offener Blick bot, so gewahrte man den ganzen grünen Bergabhang, wie er sich in das Tal hinuntersenkte, erblickte die Straße von tausend bunten Gestalten bedeckt und belebt, und im Hintergrunde die Ruine, die sich gegen einen düstern Waldabhang lehnte. So wurde die Wanderung durch den reizenden Wechsel

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