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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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der Erscheinungen verkürzt, und man hatte den Gipfel erreicht, ohne eine Anstrengung oder Ermüdung zu empfinden.
    Hier waren und wurden noch festliche Anstalten getroffen, um die hohen Besucher zu empfangen. Eine große Zahl von Arbeitern und Gärtnermädchen wurde unter der Anleitung des Hofgärtners beschäftigt, den Platz mit Blumengewinden und Kränzen, die von Baum zu Baum geknüpft wurden, zu umziehen. Ein prachtvolles Gezelt war auf dem Rasen aufgeschlagen, und selbst der Wartturm, von dessen Zinnen man nun über die nächsten Waldgipfel hinwegblicken konnte, wurde mit blumigem Schmucke geziert, der wundersam genug mit dem alten verwitterten Gestein kontrastierte. Bernhard warf einen raschen Blick über das Ganze und sprach dann: »Recht artig; nicht eben künstlerisch, doch festlich, heiter; ungefähr wie Volkstrachten, so unschön sie auch häufig sind, doch eine nicht abzuleugnende warme Lebendigkeit haben und so der Kunst oft förderlicher werden als edle antike Gewänder. Nur den Turm hättet ihr im Stiche lassen sollen, ihr Leute! Es sieht aus, als ob ihr einen achtzigjährigen Kahlkopf bekränzen wolltet; Blumen gehören der Jugend, Kränze ins frische lockige Haar.« Bei diesen Worten nahm er einer der Kranzwinderinnen ohne Umstände einen eben fertig gewordenen Kranz aus Frührosen, Veilchen und Reseda aus der Hand und drückte ihn mit einer zierlich gewandten Bewegung in Mariens hellbraune Locken, so daß diese ganz erschrocken emporsah, dann aber mit einem lieblichen Erröten lächelte und ihn unschuldig fragte: »Steht er mir gut?«
    »Eine Frühlingsgöttin!« rief Bernhard. »Allerliebst!« sprachen Julie und Emma, indem sie Marien betrachteten. Bernhards Gedanke hatte so viel Beifall gefunden, daß Rasinski der Kranzwinderin einige Geldstücke in die Hand gleiten ließ und dafür noch zwei ähnliche Kranze erstand, die er Emma und Julien überreichte und darauf drang, sie müßten sich ebenfalls damit schmücken. Zwar weigerten sie sich errötend und mit mädchenhafter Scheu vor dem Auffallenden; doch Marie half in sie dringen und so gaben sie endlich nach. Vorzüglich bestimmte sie der Umstand, den alle erst jetzt mit einigem Erstaunen wahrnahmen, dazu, daß sie sich ganz allein unter den arbeitenden Leuten befanden, indem von den vielen Zuschauern sich noch niemand hier oben eingefunden hatte. Ohne es zu wissen, verdankten sie dies den Offizieren und namentlich Rasinski; denn es war Befehl gegeben worden, alle diejenigen Personen, die nicht zum Hofe gehörten, nur bis zu einer gewissen Höhe des Berges zuzulassen, und daher hatte man auf dem großen Wege Posten ausgestellt. Der kleinere Pfad war unbesetzt geblieben. Auf dem Gipfel befanden sich nun zwar auch Wachtposten; da jedoch Rasinski die reiche Uniform trug und von zwei jüngern Offizieren begleitet war, so glaubten die Wachen, denen eine Uniform überhaupt für einen Freipaß zu gelten pflegt, darin die vollste Berechtigung für ihn zu sehen, mit seiner Gesellschaft auf dem Berge zu verweilen, zumal da sie annahmen, man habe ihn bereits unten desfalls durchgelassen. Überdies hatte sein Wesen stets etwas so Gebietendes, Vornehmes, daß selten untergeordnete Leute ihn dem allgemeinen Gesetz unterworfen glaubten, sondern gewöhnlich, mit unverkennbarer Ehrfurcht vor ihm, meinten, er sei eine vollgültige Ausnahme.

Fünftes Kapitel.
    Man bestieg jetzt den Turm; Rasinski bot Marien den Arm, um sie die kleine Treppe hinaufzuleiten. Sie genoß des reichen Blicks von oben nicht zum ersten Male, doch immer neu überraschte er sie durch seine Schönheit. Von der Turmzinne über die grünen Waldgehege, die bisher rings die Aussicht vergitterten, hinwegblickend, schweifte das Auge über den Vordergrund zarter, schlanker, im Luftzuge anmutig wehender Wipfel hinaus in eine fast unbegrenzte Ferne. Der größte Teil des Landes zieht sich in wellenähnlichen Korn- und Waldhügeln dahin, zwischen denen sich Dörfer und Städte in unabsehbarer Zahl eingestreut finden. Höhere Gebirgsrücken steigen ringsum, wie die Ufer dieses in leichtgeschwungenen Linien wallenden Meeres, auf. Die silberne breite Bahn des Elbstromes teilt die Landschaft in zwei übersichtliche Hälften. Gern verfolgt das Auge die anmutigen Bilder, die der Strom widerspiegelt, von den blauen dämmernden Türmen Dresdens an, den Rebenhügeln von Loschwitz vorüber, bis zu den schroffen Felskegeln des Königsteins und Wiensteins, die, gleich halb eingestürzten ägyptischen Pyramiden,

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