1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Raum zu gewinnen. Dies gelang endlich so weit, daß man für die acht Anwesenden acht Stühle eben setzen konnte; die Tür mußte natürlich, um Licht und Luft zu behalten, offen bleiben; denn an ein Öffnen der Laden war, da die Fenster hoch versetzt waren, nicht zu denken. Gerade zur rechten Zeit wurde man mit seiner Einrichtung fertig. Schon fielen die großen Tropfen häufiger und der Sturm ließ nach. Ein heftiger Donnerschlag dicht über den Häuptern der Versammelten schien die Wolken plötzlich zu zerreißen und den Strömen des Himmels die Bahn zu öffnen. Prasselnder, großkörniger Hagel, mit starken Schloßen untermischt, stürzte zugleich mit dem heftigsten Platzregen herab. Das junge Laub der Bäume wurde mit einer wahrhaft verheerenden Gewalt und Schnelligkeit niedergeschlagen. Die Geborgenen mußten sich in der Tat glücklich preisen, daß sie den Weg nicht anzutreten gewagt hatten; denn ein Gewitter in dieser Stärke war allerdings mit großen Gefahren verknüpft, und es würde sie mitten auf dem Wege überrascht haben, wo nach keiner Seite mehr schnell genug ein Obdach zu erreichen gewesen wäre. Eine der tiefsten Dämmerung ähnliche Finsternis umgab die Berggipfel. Die Wetterwolken lagerten sich immer dichter und dichter darauf und Blitz folgte auf Blitz, so daß oft die ganze Atmosphäre flammend erfüllt war, während das Rollen des Donners nicht mehr aufhörte, sondern nur einzelne, betäubend krachende Schläge die Gleichförmigkeit desselben unterbrachen.
Der Anblick dieses großartigen Naturschauspiels ließ die männliche, der Gefahr vertraute Brust nicht ganz unerschüttert; wieviel mehr mußte die weibliche dadurch von einer stummen Ängstlichkeit erfüllt werden. Still und bleich saßen die drei Mädchen nebeneinander auf derjenigen Seite, wo sie vor dem einschlagenden Regen am meisten geborgen waren. Marie litt noch überdies heftige Schmerzen; zwischen Julie und Emma sitzend, hatte sie sich sanft gegen diese angelehnt, während jene teilnehmend eine Hand der Freundin hielt. Die Männer suchten durch eine anscheinende Ruhe, die Rasinski in gleichgültig hingeworfenen Nebenbemerkungen, Bernhard sogar durch Scherze auszudrücken suchte, den Mut der Frauen aufrechtzuerhalten. Indessen verriet sich das Absichtliche dabei zu leicht, um nicht eben dadurch eine fast entgegengesetzte Wirkung hervorzubringen. Denn in der Tat wurde diejenige Besorgnis, welche sich bei den Frauen durch die scheinbaren Gefahren erzeugte, bei den Männern reichlich durch eine größere Kenntnis der wirklichen aufgewogen. Keiner derselben konnte es sich verhehlen, daß das Gewitter zu den stärksten gehörte, die überhaupt vorzukommen pflegten, und daß der einsame Höhenpunkt, um den sich die elektrischen Dünste wie um einen Leiter sammelten, der gefährlichste war, den man zum Aufenthalte wählen konnte. Namentlich besorgte Ludwig, daß der Blitz in den Turm einschlagen könne, da der Wetterleiter ihm durchaus nicht hinlänglich Schutz zu gewähren schien. Ein Glück war es übrigens, daß niemand die Spitze desselben sehen konnte, sonst würde der Anblick des Feuerbüschels, der an demselben flammte, und der fortwährend an der Stange heruntergleitende elektrische Strahl die Besorgnisse noch bedeutend erhöht haben.
Etwa eine halbe Stunde währte das heftige Toben des Gewitters; dann ließ es nach, es donnerte und blitzte seltener und der Regen strömte, wiewohl immer noch reichlich genug, doch gemäßigter herab. Die Mädchen atmeten wieder leichter und genossen das freudige Gefühl einer überstandenen Gefahr, wodurch in der edlern Brust nur eine sanfte, dankbare Rührung geweckt wird. Marie sah ihren Bruder mit einem unbeschreiblich liebevollen Blick an; Ludwig verstand ihn. Er reichte ihr die Hand und sprach: »Marie, du Gute, leidest du noch Schmerz?«
»Nein,« erwiderte sie nicht aufrichtig; »doch gehen würde ich nicht können.«
Bernhard rief: »Mir wird's zu eng hier in dem schwülen Käfig, ich muß mich etwas erfrischen!« Mit diesen Worten sprang er ins Freie, wo der frische, duftige, jetzt nur noch wie Silberstaub herabfallende Regen ihm die glühenden Wangen kühlte. Ludwig trat ebenfalls hinaus. Beide gingen auf die andere Seite des Turms, wo man den Himmel etwas weiter übersehen konnte. »Das regnet noch vierundzwanzig Stunden so fort«, sprach Bernhard. »Aber höre, was ich sagen wollte, du hast eine Schwester, die weiß Gott mehr taugt als du und ich zusammengenommen. Gewiß, sie ist
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