1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
nicht ganz schlecht für ein Frauenzimmer, und ich glaube, sie hat dich lieber als du verdienst. Mir sind nur Tränen von jeher unausstehlich gewesen, das heißt in meinen eigenen Augenhöhlen, sonst wollte ich nicht dafür stehen, daß ich, als sie dich so freundlich anblickte –«
»Du hast eine Träne im Auge,« sprach Ludwig und sah ihn freundlich ernst an, »du brauchst dich ihrer nicht zu schämen.« – »Hol' dich der Henker!« rief Bernhard unwillig; »es ist ein Regentropfen, der mir auf die Wange gespritzt ist. Ich sage dir, Tränen in Männeraugen sind mir so widerwärtig wie ein Kernfluch oder ein Schnurrbart auf Mädchenlippen; selbst Frauen sehe ich nicht gern weinen, weil es ansteckt. In der Wirklichkeit nämlich; denn daß ich gern trauernde weibliche Köpfe male, will ich nicht leugnen und kann's gleich beweisen.« Indem zog er ein Skizzenbuch von Pergamentblättern hervor, welches er stets bei sich führte.
»In diesem Büchlein,« sprach er, »steht manches Gesicht, das des Ansehens wert ist, obwohl nicht immer ein blauer Himmel aus den blauen Augen lacht. Wahrlich, deine Schwester käme jetzt auch hinein, wenn es nicht so verflucht regnete, daß man nichts machen kann. Überhaupt wollte ich die ganze Gruppe zeichnen, sogar den Mars Rasinski, der die Tauben wie ein Adler unter seine Flügel nimmt, wiewohl ich anfange, dem Kerl das Donnerwetter auf den Kopf zu wünschen.«
»Es ist mir lieb,« antwortete Ludwig, »daß du die Zeichnungen bei dir hast, denn ich fürchte, der Regen hält noch lange an, und in der steten Erwartung scheint die Zeit sich zu verdoppeln. Wenn wir daher die Frauen über eine Stunde täuschen können, so geschieht mir wahrlich ein großer Dienst damit. Laß uns hinein, und zeige den Mädchen dein Buch.«
»Ich bin's zufrieden,« antwortete Bernhard, »obwohl es eigentlich eine Schmach ist, daß uns die Kunst nicht bei heiterer, freier Muße als göttliche Gefährtin begleiten, sondern nur als Vogelscheuche gegen ein paar umherflatternde Besorgnisse, oder geradeheraus, als der Silberschaum auf der Pille, die uns das Schicksal eingibt, dienen soll.« Sie gingen hinein.
»Wir haben das Wetter auf allen Seiten beobachtet,« sprach Ludwig; »es wird sich, denken wir, allmählich abregnen. Indessen will unser Freund Bernhard uns mit seinem Skizzenbuche unterhalten, und so haben wir am Ende von unsern Unfällen noch den besten Gewinn.« – »Und sind dies nicht immer die Wege Gottes?,« sprach Marie lächelnd. – »Freilich,« antwortete Bernhard, »und ich will sie mir besonders zunutze machen. Denn wenn ich hier mein Zeichentaschenbuch zeigen soll, so kann es unmöglich bei jedem Umwenden des Blattes aus Hand in Hand gehen, sondern ich muß als Erklärer und obhutübender Besitzer immer selbst dabei sein. Also muß ich bitten, mir jetzt einige Augenblicke zu gehorchen, indem ich Anstalten treffen will, die mir den beneidenswertesten Platz sichern sollen.«
Man war sehr gern bereit, Folge zu leisten. Bernhard setzte demnach vier Stühle in eine Reihe, so daß der rechte Flügel derselben sich gegen die Tür lehnte. Auf diesem mußte Marie Platz nehmen, er selbst setzte sich neben sie und nahm dann Emma und Julie zur Linken. Die übrigen vier Männer mußten sich hinter die Stühle stellen; Rasinski trat hinter Marie, Ludwig hinter Bernhard, die beiden jungen Offiziere hinter Julie und Emma.
»So,« begann Bernhard, »nun werde ich mit unparteiischer Gerechtigkeit bald rechts, bald links bei den Damen beginnen und stets den Erklärer machen; denn das Beste dabei muß freilich, da es oft kaum angedeutet ist, gesagt werden. Doch um eins bitte ich; fragen Sie mich bei Landschaften, bei Männern, kurz bei allem nach Paß, Stand und Namen; aber die weiblichen Köpfe bleiben inkognito, denn in das Geheimbuch meines Herzens kann ich wahrlich nicht jedermann blicken lassen.«
Man fügte sich gern diesem harten Gesetze und ging mit wahrer Frische und Lust an das Betrachten der Handzeichnungen. Die meisten waren, wie Bernhards Charakter, keck, lebendig, mit wenigen dreisten Strichen, mehr scharf angedeutet als ausgeführt, seltener zierlich, sauber. Doch mitunter hatte er auch die feine Grazie seines Griffels gezeigt. Der Inhalt des Buchs waren Landschaftsstücke, als: romantische Felspartien, Baumgruppen, bisweilen eine ganze Landschaft; daneben und dazwischen nationelle Köpfe, norwegische Fischer, ein Eiderfänger, eine Renntiermelkerei und ähnliches. Alles aber war
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