1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
aller so gefesselt, daß man nicht bemerkte, wie inzwischen der Regen wieder ungleich heftiger geworden war und die Dunkelheit nach und nach hereinzubrechen begann. Erst jetzt wurde Marie darauf aufmerksam und nicht wenig mit Sorgen deshalb erfüllt; denn in der Tat war die Lage für die jungen Mädchen bedenklich zu nennen. Sie versuchte, ob sie zu gehen imstande sein würde, und wollte dann entschlossen dem Wetter trotzen; allein es war ihr nicht möglich; der Fuß war stark angeschwollen; sie litt empfindliche Schmerzen. Ludwig hatte bei der heftigen Aufregung seines Innern die nächsten Verhältnisse ganz vergessen und war in tiefe Gedanken versunken. Marie faßte seine Hand und fragte ihn leise: »Was sollen wir jetzt anfangen, Bruder? Wir sind wirklich recht übel daran; ich fühle, daß ich nicht hinunter kann, wenn ich auch das Wetter nicht scheuen wollte.«
Ludwig sann einen Augenblick nach, dann erwiderte er: »Jetzt, da das üble Wetter anhält, ist die Sache ganz leicht entschieden. Ich gehe allein hinab und sende euch die Wagen herauf.« – »Du, Guter! wolltest dich dem heftigen Wetter aussetzen?« rief Marie. – »Es wird mir wohltun,« entgegnete Ludwig, »mir ist so schwül, daß ich mich nach der Abkühlung ordentlich sehne. Aber es ist die höchste Zeit, denn sonst bricht die Nacht an, ehe die Wagen heraufkommen.«
Es entstand jetzt ein Wetteifer unter den Männern, wer Ludwig begleiten sollte. Gern wäre er mit Bernhard gegangen, um von diesem noch womöglich etwas zu erforschen; aber es schien ihm schicklicher, daß derselbe als ein älterer Freund des Hauses oben verweile, damit die drei Mädchen nicht allein mit den drei Offizieren zurückbleiben möchten. Er lehnte daher die Begleitung ab, wiewohl auch Rasinski und die jüngern Offiziere darauf bestanden, die Unannehmlichkeit mit ihm zu teilen. »Es ist völlig unnötig«, erwiderte Ludwig, da sie freundschaftlichst in ihn drangen. »Einer reicht ja vollkommen zur Verrichtung des Auftrags hin; warum sollten also zwei damit beschwert werden?« Ohne sich daher weiter zu besinnen, trat er seinen Weg rasch an und versprach, längstens in einer guten Stunde sollten die Wagen zur Abholung dort sein.
Diese Zeit verfloß ein wenig ängstlich, da die Mädchen, nachdem ihr natürlicher Beschützer und Verwandter sich entfernt hatte, die Verlegenheit ihrer Lage erst recht deutlich empfanden. Der Regen rauschte schauerlich herab; grauer Nebel wälzte sich über den Berg hin; es wurde allgemach dunkel. Jetzt war eine Stunde verstrichen. Von Minute zu Minute hoffte Marie, daß die Wagen eintreffen würden. Gespannt lauschte sie auf jedes Geräusch, in der Hoffnung, endlich den Schall einer Peitsche zu vernehmen. Nachgerade fing sie an, sich zu beunruhigen, denn es verging eine halbe Stunde über die festgesetzte Zeit, ohne daß sich die sehnlich erwartete Hilfe blicken ließ.
Es war völlig Nacht geworden. Durfte man gleich etwas auf den Regen und den düster bewölkten Himmel rechnen, so mußte es dennoch schon sehr spät sein. Marie fragte Bernhard einigemal leise nach der Zeit; dieser gab ihr anfangs täuschende Antworten, dann erklärte er ihr, er könne es nicht mehr sehen. Es war nun nicht mehr die Seltsamkeit des Verhältnisses allein, was Marien quälte, sondern sie fing auch an, Besorgnisse anderer Art zu hegen. Sollte Ludwig verunglückt, sollte der Mutter etwas zugestoßen sein? Dazu gesellte sich der körperliche Schmerz, der nachgerade so heftig geworden war, daß sie sich in einem fast fieberhaften Zustande befand.
Weder Bernhard noch die übrigen Männer konnten sich's jetzt mehr verbergen, daß ein außerordentlicher Vorfall eingetreten sein müßte, denn es waren weit über zwei Stunden verflossen, seit Ludwig sie verlassen hatte. Sie fingen daher an zu beratschlagen, was man tun solle, ob es nicht die Pflicht gegen den Freund erfordere, mit Ernst nachzuforschen, was geschehen sei; denn es konnte ihm ja doch ein Unfall zugestoßen sein. Bernhard hielt es nunmehr für das beste, mit der Sprache herauszurücken, um die ängstlichen, eingeschüchterten Mädchen nicht noch mehr durch ein dunkles Verhüllen und Verbergen, das zuletzt doch nicht durchzuführen wäre, zu beunruhigen. Man stimmte ihm bei. Er erklärte daher Marien offen, daß er selbst anfange, besorgt zu sein und es daher für Pflicht halte, sich um Ludwig zu kümmern.
Marie erwiderte diese Eröffnung durch einen Händedruck, denn schon längst hatte es auf ihrem
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