1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
gepreßten Herzen gelegen, die Männer um das zu bitten, wozu sie sich jetzt erboten. Nur wagte sie es nicht, teils weil sie besorgte, daß man ihre Angst für unbegründet halten möchte, teils weil ihr das Ansinnen zuviel zu fordern schien.
Bernhard, als des Weges am kundigsten, und Jaromir übernahmen es, hinunterzugehen; Rasinski, als der Älteste, blieb zum Schutz der Frauen zurück, und behielt auch Boleslaw bei sich, weil man nicht wissen konnte, ob Mariens Zustand nicht vielleicht die Hilfe zweier Männer notwendig machte und weil es überhaupt gut schien, daß auf jeder Seite zwei blieben, um einander zu unterstützen.
Bernhard und Jaromir machten sich auf den Weg. Sie versprachen, es möge vorgefallen sein, was da wolle, wenigstens Botschaft zu bringen oder zu senden. Obgleich der Regen heftig herabströmte und man kaum die Hand vor den Augen zu sehen vermochte, ward es den beiden Wanderern doch anfangs nicht schwer, den richtigen Weg zu finden. Sie erreichten ohne Schwierigkeit die Ruine und glaubten schon ihrem Ziele ganz nahe zu sein, als sie, minder achtsam, plötzlich vom Wege abgewichen waren und sich in hohem Grase befanden. Sie versuchten, die Straße wiederzugewinnen, aber vergeblich. Um nicht wieder Zeit zu verlieren, beschlossen sie daher auf dem ungebahnten Wege fort durch Gesträuch und hohes Gras oder Getreide nur gerade abwärts zu gehen, da sie die Hauptrichtung nicht verfehlen konnten. Indessen war dies nicht so leicht; denn sie wurden anfangs durch einen ziemlich tiefen und breiten, mit Regenwasser angefüllten Graben aufgehalten, und als sie über diesen endlich einen Übergang gefunden hatten, gerieten sie an eine undurchdringliche dichte Hecke. Sie mußten an derselben hintappen, um ihr Ende oder eine Öffnung zu suchen; doch plötzlich hemmte sie eine Querverzäunung, die sie nötigte, wieder bergauf zu klimmen. Zum Glück entdeckte Bernhard eine Stelle, wo man leicht übersteigen konnte. Sie taten es und sahen nun in einiger Entfernung ein Licht schimmern, das in einem der Hofgebäude, die zu dem Schlosse gehören, zu brennen schien. Hatten sie dieses erst erreicht, so war es ein Leichtes, nach dem Wirtshause zu gelangen. Bald bemerkten sie jedoch, daß das Licht wandle und näher komme; es waren Leute mit zwei Laternen. Erfreut, auf Menschen zustoßen, die ihnen Auskunft geben konnten, gingen sie denselben entgegen und trafen auch bald den gebahnten Pfad, auf dem dieselben herankamen. Da Bernhard und Jaromir durch die völligste Dunkelheit verborgen, jene aber hell beleuchtet wurden, war es nicht schwer, schon in ziemlich bedeutender Entfernung zu erkennen, daß es zwei französische Gendarmen waren, die mutmaßlich einen Gefangenen transportierten. Bernhard war durch seine mannigfaltigen Reiseerfahrungen vorsichtig gemacht, und Jaromir war es als leichtem Kavallerieoffizier zur andern Natur geworden, im Dunkeln immer die Taktik der Schleichpatrouillen zu beobachten. Es bedurfte also für beide nur eines gegenseitigen Winks, um die Leute mit den Laternen erst näher herankommen zu lassen und sie vorläufig aus einer dunkeln Stelle am Wege zu beobachten. Mit Erstaunen sahen sie, als die Gendarmen sich näherten, daß Ludwig in ihrer Mitte ging, und mit noch größerm Erstaunen erkannte Bernhard in einem vierten zur Seite gehenden, tief in einen weiten Regenmantel eingehüllten Manne, der gleichfalls eine Laterne trug, jenen Menschen, der ihm den Nachmittag im Garten als so bekannt aufgefallen war. Ein Druck mit der Hand reichte als Zeichen hin, daß man sich vorläufig durchaus still und nur beobachtend zu verhalten habe. Hinter einen Baumstamm gedrückt, den Atem anhaltend, ließen sie daher den Zug vorbei, und als er etwa fünfzig Schritte vorüber war, folgten sie ihm mit möglichster Behutsamkeit, wobei ihnen der matte Lichtschein, den die Laternen zurückwarfen, ungemein zustatten kam. Bernhard hatte zuviel Vertrauen zu Ludwig, kannte ihn zu genau, um nicht zu ahnen, daß hier entweder ein arges Mißverständnis, oder, wie es in diesen Zeiten leider nur zu gewöhnlich war, ein patriotischer Anlaß, oder endlich, was ihm besonders durch die Mitwirkung des widerwärtigen Fremden wahrscheinlich wurde, ein Bubenstück zugrunde liegen mußte. Dieser Gedanke setzte sich so fest in ihm, daß er beschloß, Ludwig, es koste was es wolle, aus der augenblicklichen Gefangenschaft, in der er sich befand, zu befreien; denn oftmals kam es ja in jener Zeit nur darauf an, jemand seinen
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