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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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aber vermochte er nicht. Sein Auge verdunkelte sich; obwohl das holde Antlitz seine Blicke mit unbeschreiblicher Macht anzog, riß er sich doch gewaltsam zurück, um seine Bewegung nicht zu verraten. Mit angstvoller Spannung harrte er darauf, ob sich ihm jetzt durch den wunderbarsten Zufall das Geheimnis, an welchem das Glück seines Lebens hing, lösen werde; denn Marie, die sich gar nicht überreden, noch darüber beruhigen konnte, daß Bernhard nicht wissen sollte, wer dieses rührend holde Wesen sei, fragte ihn noch einmal: »Und Sie vermochten wirklich gar nichts zu erfahren? Ein so reizendes Wesen kann ja doch selbst in dem unermeßlichen London niemand unbekannt sein.«
    »Wirklich, ich weiß nichts«, erwiderte Bernhard. »Zwar bemühte ich mich, etwas zu erfahren, doch es ging mir unglücklich genug damit; wie, will ich Ihnen sogleich erzählen.«
    »Die sanfte Hoheit dieses Antlitzes, der unbeschreiblich rührende Schmerz darin – denn ich habe, aufrichtig gesagt, nur eine Karikatur davon geliefert – machte mich, warum sollte ich's nicht gestehen, ein wenig verrückt auf meinem Platz im Parterre. Ich wollte das Gesicht haben, das schwur ich mir innerlich; aber wie sollte ich es zeichnen, ohne aufzufallen? Neben mir saß ein Kaufmann, der lange in Konstantinopel gewesen war und sich dort ein wenig den orientalischen Ausdruck angewöhnt hatte. Ich kannte ihn so halb und halb. Dieser bemerkte es, daß ich nur nach der Loge, nicht nach dem Theater sah, obwohl soeben Julie von Romeo Abschied nahm. Er sagte zu mir: ›Nicht wahr, Sir, ein Gesicht, das sich malen ließe, wenngleich aus dem blauen Himmel der Augen feuchter Tau auf die Rosen der Wangen perlt.‹ Sie weinte nämlich die schönsten Tränen, die ich jemals gesehen. ›Freilich, bei Gott!‹ antwortete ich, ›aber wo und wie?‹ – ›Dort oben ist eine Loge leer,‹ flüsterte er mir zu, ›die den besten Auffassungspunkt darbietet; wenn Sie dort hineingehen und die Tür nach dem Korridor ein wenig offen lassen, fällt von diesem her gerade so viel Licht auf ihr Blatt, als Sie brauchen, und Sie selbst bleiben im Dunkel sitzen.‹ Ich eilte, sofort diesen Rat zu befolgen. Mein Standpunkt war vollkommen günstig; ich saß im Hintergrunde der Loge ganz unbemerkt und blickte dem himmlischen Wesen gerade ins Gesicht, während sie das feuchte Auge unverwandt auf die Bühne richtete. Der teuere Raub gelang mir so vollkommen, als es überhaupt möglich war. In meine Arbeit vertieft, hatte ich jedoch nicht bemerkt, daß jemand in die Loge getreten war. Plötzlich redete mich eine unangenehme rauhe Stimme leise an: ›Sir!‹ Ich fuhr auf. ›Ein Wort, Sir‹, sagte die Stimme, die einem Manne von etwa dreißig Jahren gehörte, der mir zur Loge hinaus auf den Korridor winkte. Ich merkte, was die Sache bedeuten wollte, und folgte natürlich. Der mürrische Unbekannte tritt mit mir hinaus auf die Gasse. Hier fängt er an mich zu fragen, mit welchem Rechte ich mir erlaubte, eine Dame ohne ihren Willen zu zeichnen. Ich antwortete kurz, wir gerieten etwas heftig aneinander. Das Ende war die Verabredung zu einer Zusammenkunft auf den andern Morgen um acht Uhr im Hydepark. Der Fremde verließ mich darauf, ohne ins Theater zurückzugehen; ich nahm dagegen den Weg nach meiner Loge, um noch ein wenig zu retuschieren. Aber noch heute möchte ich rasend werden vor Grimm: als ich eintrat, war die andere Loge völlig leer und das reizende Wesen samt ihrer Gesellschaft verschwunden. Ich fragte den Türsteher; sie sind soeben weggefahren, lautete die Antwort, aber er kannte sie nicht. Ich eile hinab ins Parterre zu meinem Kaufmann. Er ist nicht mehr dort. Mein einziger Trost war jetzt die Bestellung im Hydepark, wo ich wenigstens zu erfahren hoffte, wer mein Gegner sei. Um halb acht Uhr fand ich mich pünktlich ein; aber ich glaube, wenn ich noch dort stände, so wäre bis diese Stunde niemand gekommen. Kurz, ich hatte jede Spur verloren, denn sogar der Kaufmann war an dem Tage plötzlich wieder zu Schiffe nach der Levante gegangen, ohne daß ich ihn gesprochen hatte. Vertrauten Freunden habe ich nachmals wohl das Bildnis gezeigt, aber niemand kannte es; vergeblich bin ich ein Vierteljahr lang jeden Abend in alle Theater Londons gelaufen, und zumal Versäumte ich keine Vorstellung von «Romeo und Julie»; doch niemals ist es mir gelungen, auch nur die geringste Spur meiner Unbekannten wieder zu entdecken.«

Siebentes Kapitel.
    Bernhards Erzählung hatte die Aufmerksamkeit

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