1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
verbittern alles, was sonst im schlimmsten Falle nach nichts schmeckt. Keine Prise Schnupftabak fragte ich danach, ob wir beide in Rußland von den Wölfen gefressen würden oder nicht, wenn du nicht Mutter und Schwester hättest. Aber deine Schwester ist brav geworden; sie war schon immer ein gutes Kind, und ich entsinne mich jetzt, daß sie mich einmal recht sanft und liebreich verbunden hat, als ich mir hier auf dem Gute die Stirn blutig gefallen hatte von dem großen Birnbaume herunter. Sie hat dich lieber, als du es verdienst, denn wir Männer taugen insgesamt nicht genug, um recht geliebt zu werden. Es muß aber wohltun. Ich hab's noch nicht erfahren, am wenigsten von Eltern oder Geschwistern. Mich hat das Schicksal spartanisch behandelt, denn – zwar weiß ich nicht, ob ich bei der Geburt kränklich war – aber es setzte mich gleich danach einigermaßen aus in die Wildnis. Nun, dem König Agesilaos ging's auch nicht besser! Wer weiß, für welchen Thron ich bestimmt bin; in unsern Tagen fällt so etwas ja kaum auf. Nun, du bist ja so still? Schäme dich! Der Abschied ändert doch nichts in der Sache? Warum sollten wir jetzt bewegter sein als vor einer Minute?«
»Und du bist es selbst, Bernhard«, entgegnete Ludwig sanft. »Schäme dich nicht deiner Rührung, sie zeugt von deiner Menschlichkeit! Weil wir menschlich fühlen, gehorchen wir den Sinnen und der Macht der Gegenwart!« – »Amen, du hast recht, Bruder«, rief Bernhard und reichte dem Freunde die Hand. Beide standen still. Feierliches Dunkel umhüllte sie; das Gebirge lagerte sich schwarz am klaren Horizont, die Sterne leuchteten sanft; ein heiliges Schweigen, wie im Tempel des Gottes, herrschte ringsum. Da sanken die Freunde einander in die Arme, hielten sich fest umschlungen und taten ein stummes Gelübde unverbrüchlicher Treue.
»Das soll die letzte weichherzige Minute gewesen sein,« sprach Bernhard, nachdem er einen sanften Bruderkuß auf Ludwigs Lippen gedrückt hatte, »von nun an laß uns wie alte Steuermänner kalt und besonnen im Sturm des Schicksals bleiben. Wir sind Soldaten geworden und müssen wenigstens für die deutsche Männerehre fechten, da es keinen Kampf fürs deutsche Vaterland gilt. Wenn mir die rote Morgensonne in die Augen scheint, soll sie zittern und erblassen vor dem Eisenfressergesichte, das ich mir diese Nacht anzulegen denke. Nun vorwärts, Kamerad, wir kommen sonst zu spät in Dienst!« Sie beschleunigten ihre Schritte und erreichten nach wenigen Minuten die Station, von der sie rasch weiter ihrer abenteuerlichen Zukunft entgegeneilten.
Zehntes Kapitel.
Rasinski war nicht ohne Grund besorgt gewesen, daß die Nachforschungen, die Ludwig und Bernhard veranlaßt hatten, sich auf die Familie des erstern erstrecken würden. Wenige Stunden, nachdem diese auf das Land hinausgefahren war, fanden sich auch schon zwei französische Gendarmen ein, um in der Wohnung nach Ludwig zu forschen. Sie fanden niemand in derselben, denn Rasinski hatte durch seinen vertrauten Abgeordneten weislich darauf dringen lassen, daß man die Magd mit auf das Gut hinausnehme, damit niemand zurückbleibe, dessen Aussagen seine Pläne etwa kreuzen könnten. Kraft ihrer Willkür geboten daher die Gendarmen dem Hauswirt, die Zimmer zu öffnen, durchsuchten sie auf das genaueste, und da sie nichts vorfanden, versiegelten sie nicht nur die Schränke, sondern auch die Außentüren und statteten nunmehr Bericht ab. Rasinski wurde durch seinen Reitknecht, namens Andreas, einen höchst gewandten und treuen Menschen, von allem unterrichtet, was äußerlich beobachtet werden konnte; sein Unterhändler, der mit St.-Luces' Bureau in Verbindung stand, hielt ihn in Kenntnis über alles, was dort geschah. So erfuhr er, daß dieser durchaus nicht wußte, wo er Ludwigs Familie aufsuchen sollte, da niemand ihm Bescheid zu geben vermochte, wohin die Frauen gefahren waren. Denn zufällig hatte die Tante ihrer Schwester, seit diese sich in der neuen Wohnung, die sie für ihren durch Ludwigs Ankunft vergrößerten Hausstand gemietet hatte, befand, noch keinen Besuch gemacht, so daß niemand im Hause diese Verwandten kannte. So leicht konnten daher die Späher den Aufenthalt derselben nicht erforschen, und es war alles darauf zu wetten, daß St. abreisen müsse, bevor er sie entdeckte. So geschah es wirklich, denn am dritten Tage, frühmorgens, sah Rasinski ihn selbst mit seinem Sekretär zum Tore hinaus nach Wien fahren, für welchen Ort ihm ein dauernder Aufenthalt
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