1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Kommandantur, um sich nach dem Stande der Angelegenheiten bei einem ihm bekannten Offizier des Bureaus zu erkundigen. Zu seiner Freude erfuhr er, daß der Kommandant sich mit wohlwollender Schonung über die Lage, in der sich Ludwigs Mutter und Schwester befanden, geäußert und die Entscheidung ausgesprochen habe, daß, wenn nicht die dringendsten Verdachtsgründe gegen die beiden Frauen vorhanden seien, man von allem weitern Verfolg der Untersuchung gegen dieselben, welche einen so ungroßmütigen Charakter an sich trage, abstehen solle. Mit dieser frohen Nachricht eilte er, die besorgten Frauen zu überraschen. Als er ins Haus trat, begegnete ihm bereits ein Beamter, der von ihnen kam. Er hatta auf Befehl des Kommandanten schon in aller Frühe sowohl Marien als ihre Mutter verhört; beide konnten natürlich nichts aussagen, als was sie wußten, und dies war so wenig, daß unmöglich ein weiteres Verfahren deshalb gegen sie eingeleitet werden konnte. Glücklicherweise befanden sich unter den in Beschlag genommenen Papieren auch Briefe Ludwigs aus Italien und der Schweiz, kurz vor und bald nach seinem Abenteuer in Duomo d'Ossola geschrieben, die dessen nicht im mindesten Erwähnung taten. Dieser Umstand mußte dazu beitragen, es aufs höchste wahrscheinlich zu machen, daß beide Frauen nicht den geringsten Anteil noch Kunde von dem hatten, dessen Ludwig angeklagt war. Nach einigen Stunden wurden ihnen daher sämtliche Papiere auch wirklich mit der Erklärung zurückgegeben, daß sie auf keine Weise ferner beunruhigt werden sollten. Diese Bedrängnis war also vorüber; indessen hatte Rasinski jetzt freilich die schwere Aufgabe zu lösen, die besorgte Mutter und Schwester mit Ludwigs und Bernhards Schicksal bekannt zu machen. Er schob dies absichtlich noch hinaus; inzwischen konnte er den Frauen einen Zettel von Ludwig, welcher ihm in einem Briefe Jaromirs geschickt war, auf einem Umwege zukommen lassen. Derselbe enthielt nur einige Zeilen, absichtlich ohne Ortsangabe, wodurch Ludwig der Mutter das glückliche Gelingen seiner Flucht und sein und Bernhards Wohlsein meldete. Rasinski wollte nicht eher von den Frauen als Mitwisser gekannt sein, bis er Dresden verlassen konnte; dies war die Ursache, weshalb er alle nähern Erklärungen bis wenige Stunden vor seiner Abreise versparte.
Elftes Kapitel.
Mit schwerem Herzen ging er, nachdem er alles geordnet hatte, gegen Abend, als die Dämmerung einbrach, zu ihnen, um Abschied zu nehmen; daß er kommen werde, hatte er schon zuvor gemeldet. Marie öffnete ihm; sie befand sich allein. Die Mutter war einer häuslichen Angelegenheit wegen auf einige Minuten zu dem Wirt hinuntergegangen. »So kommt wirklich der letzte Freund, um Abschied von uns zu nehmen?« sprach Marie bewegt, als sie Rasinski im Reiseüberrocke vor sich sah. – »In wenigen Stunden habe ich diese Mauern hinter mir«, antwortete er. Beide schwiegen jetzt einige Augenblicke, teils aus Bewegung, teils aus Verlegenheit. »Werde ich den Trost mitnehmen,« fragte der Graf mit dem Tone sanfter Bitte, »daß Sie meiner nicht so rasch vergessen wollen, als die Zeit unserer Bekanntschaft kurz war?«
»Dürfen Sie fragen?« entgegnete Marie gerührt; »Sie, der Sie uns in den schreckenvollsten Tagen unsers Lebens alles waren, und von dem wir noch jetzt alles hoffen, was unsern Schmerz lindern kann!«
»O, wenn ich das könnte, wenn ich ihn nicht sogar vermehren müßte!«
»Wie?« fragte Marie erwartungsvoll und blickte ihn betroffen an. – »Lassen wir das,« erwiderte Rasinski, »bis Ihre Mutter kommt, jetzt –« »Ich eile, sie zu rufen«, rief sie ängstlich und wollte gehen.
»Nein, nein, bleiben Sie,« bat Rasinski und nahm ihre Hand, »in dieser Minute habe ich ein Wort zu Ihnen allein zu sprechen.« Der Ton, mit dem er diese Worte sprach, sein heftiger, warmer Händedruck, mehr aber noch ihr eigenes geheim wünschendes Herz hatte Marien alles enthüllt, was er ihr bekennen wollte, noch bevor ein Wort seinen Lippen entflohen war. Es fiel wie ein Blitzstrahl leuchtend in ihre Seele, daß sie liebe und geliebt werde. Von einem süßen Erschrecken wie betäubt, stand sie zitternd, unvermögend ein Wort zu erwidern, mit gesenktem Auge da.
»Könnten Sie das Schicksal Ihres Lebens mit mir teilen, Marie«, sprach Rasinski, dem die Sekunden kostbar wurden, mit ernster, sanft bewegter Stimme. »Ich dringe Ihnen kein entscheidendes Ja ab, nur ob Sie ein entscheidendes Nein sprechen müssen, nur das beantworten
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