1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
mit wichtigen Geschäften angewiesen war.
Am Abend darauf kehrte Marie mit der Mutter zurück. Mit Erstaunen fanden sie ihre Wohnung versiegelt und erfuhren durch den Wirt, was geschehen war. Das mütterliche Herz begann etwas Schlimmeres zu ahnen, was noch in dunkler Verborgenheit ruhe. Die Frauen bedurften des Rates, der Unterstützung; aber an wen sollten sie sich sofort wenden? Da trat, wie zufällig, Rasinski, der ihre Ankunft schon durch Andreas wußte, welcher mit unermüdlicher Wachsamkeit alles beobachtet hatte, ins Haus. Er war nicht nur durch seine Verhältnisse, sondern auch durch seine männliche Festigkeit und Bestimmtheit der geeignetste Helfer in dieser Not, und durch sein freundliches, teilnehmendes Wesen erschien er den Frauen als ein Engel der Rettung und des Trostes. Obgleich er sich, um seiner Rolle getreu zu bleiben, völlig unwissend stellte und dem mütterlichen Herzen die Qual einer Erzählung der Begebenheiten auflegen mußte, so verstand er es doch, sogar diese peinlichen Augenblicke zu erleichternden des mitteilenden Vertrauens zu machen, versprach seine volle Mitwirkung, um die ganze Angelegenheit beizulegen, und erbot sich, sogleich zum Kommandanten zu gehen.
Er tat es. Die Frauen traten indes bei dem Wirt ein, wo sie eine ängstliche Viertelstunde zubrachten. Besonders war Marie voller Schmerz und Sorge. Ach, wie war so alles, was sie von glücklichen Tagen gehofft hatte, plötzlich vereitelt! Die Zeit, auf die sie sich jahrelang gefreut, war nun gekommen; doch wie bitter wurde das schwesterliche Herz aus seinen schönen Träumen geweckt! Wie manches hatte sie freudig entbehrt, um die Zukunft des Bruders fester gründen und bauen zu helfen! Wie gern hatte sie mit der Mutter in der engsten häuslichen Beschränkung gelebt, damit er, den sie so über alles liebte, seinen reichen, edeln Geist in freiern Verhältnissen ausbilden, alles Gute und Schöne kennen lernen und genießen sollte. Ihr bescheidenes Herz wollte nichts als sich dereinst an dem Glück des Bruders freuen; es wollte auf sein edles Wissen, seine mannigfaltigen Erfahrungen ein wenig stolz sein und begnügte sich gern damit, einen freundlichen Widerschein des Glanzes zu gewinnen, der sein Leben reich umstrahlen sollte. Die sorglich gepflegten Keime waren zur schön entfalteten Krone gediehen; schon öffneten sich die vollen Knospen und verhießen den endlichen Lohn aller Mühen, alles Entbehrens – da schüttelt ein rauher Sturm den jungen Wipfel, und plötzlich steht er entblättert, herbstlich wieder da, ein Anblick stummer Trauer!
Aus diesen wehmütigen Betrachtungen weckte Rasinskis Rückkunft Mariens Herz. Ihn begleiteten zwei Gendarmen, welche die Siegel abnahmen und den Frauen die Wohnung öffneten. Rasinski hatte dies erlangt, indem er Bürge geworden war, daß beide Frauen sich einer gewöhnlichen Vernehmung nicht entziehen würden; auch mußten die Schränke und sonstigen Behältnisse einstweilen versiegelt bleiben. Einige Zeit darauf erschien ein höherer Beamter der französischen Polizei, der, vermutlich durch Rasinskis Gegenwart bestimmt, höflich, aber entschieden, die Auslieferung aller Papiere forderte. Diese wurden ihm mit dem ruhigsten Gewissen eingehändigt, worauf er alle Siegel abnahm und sich, mit einer Entschuldigung über die Belästigungen, die seine Amtspflicht ihm gebiete, empfahl.
Jetzt machte die geängstigte Mutter ihrem Herzen endlich Luft: »Um Gottes willen, was bedeutet das?« fragte sie Rasinski. »So verfährt man nicht infolge eines Duells! Ich beschwöre Sie; entdecken Sie mir, was ist vorgefallen? Was hat Ludwig getan?«
»Darüber bin ich, entgegnete Rasinski, »fast so in Ungewißheit als Sie selbst, würdige Frau. Das Duell aber, soviel weiß ich jetzt, war nur Vorwand seiner Flucht; er ist irgendeiner Handlung angeklagt, die gefährliche Folgen haben kann. Vermutlich hat er sich in eine Verbindung eingelassen, die –«
»O,« rief Marie nicht ohne ein Gefühl des Stolzes auf den Bruder aus, »gewiß hat sein edles, vaterländisches Herz –« hier brach sie ab, hielt einige Augenblicke inne, seufzte aus tiefer Brust und sprach dann fest, aber mit dem Ausdruck des bittersten Schmerzes: »Wir leben in einer Zeit, wo oft die edelste Gesinnung für verbrecherisch gilt!«
Rasinski war erschüttert; er, dessen ganze Seele für das eigene Vaterland glühte, mußte Mariens Schmerz in seiner vollen Größe empfinden. In ihren sonst so holden, nur sanfte Weiblichkeit atmenden
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