1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Trompetensignal hatte die Soldaten geweckt, und so verschränkte sie die Arme unter dem Kopf, sah auf die holzgetäfelte Decke der Bibliothek und lächelte in sich hinein, während sie dem Zwitschern der Vögel draußen lauschte.
Seit Tagen schon freute sie sich auf diesen Morgen.
Endlich erwartete sie einmal etwas Schönes, etwas, das nichts mit Krieg und all dem zu tun hatte, was noch auf sie zukommen konnte! Etwas, das man im Frieden tat. Sie würde heute ihre neuen Kleider vom Schneider abholen, zwei wunderschöne Kleider …
Jette hätte nicht gedacht, überhaupt noch so etwas wie Freude empfinden zu können, und beinahe schämte sie sich dafür.
Seit jenem Tag, an dem sie den Brief von Maximilian erhalten hatte, als Richard, Felix und auch Étienne in den Krieg gezogen waren, hatte sie sich in der Buchhandlung geradezu verkrochen. Manchmal strich sie über die Einbände der neuen Bücher und überlegte, wie ihr Vater die wohl gestaltet hätte: jenen in dunklem Leder mit goldener Schrift, jenen mit sattgrün marmoriertem Papier. Manchmal las sie.
Vor allem aber wartete sie auf Nachricht, auf einen weiteren Brief.
Doch Felix und Richard hatten gewiss keine Möglichkeit, Post zu verschicken, wenn sie tatsächlich einem Freiwilligen Jägerkorps beigetreten waren. Étienne würde seinem Vater schreiben und nicht ihr, und dass Maximilian Trepte den Brief mit ihrer Locke erhalten hatte, wagte sie kaum zu hoffen. Wer wusste, wie weit entfernt sein Bataillon jetzt war?
Wer wusste, ob die vier überhaupt noch lebten?
Und sie hatte nur neue Kleider im Kopf!
Aber sie waren so schön geworden: eines in einem zarten Fliederton mit dunkellila Streifen, in dem sie sich schon bei der Anprobe wie verzaubert vorkam, und ein weißes mit winzigen blauen Punkten.
Der Oheim und die Tante hatten vor ein paar Tagen einhellig verkündet, dass – schlechte Geschäfte hin, Einquartierungslasten her – ihre Nichte nicht länger nur in dem verschlissenen Reisekleid und Johannas umgearbeiteter Garderobe herumlaufen konnte.
»Sonst sagen die Leute noch, dass wir dich wie ein Aschenputtel behandeln«, erklärte die Tante kategorisch.
Was Johanna verschwieg und nur gegenüber ihrem Mann ausgesprochen hatte, war der wirkliche Grund. »Das Mädchen versinkt in Trübsal, ich kann es kaum noch mit ansehen. Ein neues Kleid wird sie auf andere Gedanken bringen, du wirst schon sehen. Lass mich nur machen!«
Und Friedrich Gerlach ließ seine Frau in der Hoffnung walten, dass sie recht behalten würde. Die Einnahmen aus dem Verkauf der Bilder von der Dresdner Brücke und der Napoleonporträts sollten dazu verwendet werden. Denn plötzlich waren die Kaiserbildnisse wieder gefragt; Friedrich Gerlach hatte sogar nachdrucken lassen.
Ein klares Anzeichen dafür, dass die Stimmung in der Stadt erneut umgeschlagen war. Napoleon hatte die Preußen und Russen schon wieder zweimal besiegt und so weit zurückgedrängt, dass mit denen bestimmt nicht mehr so bald zu rechnen war. Wenn jemand diesen Krieg rasch beenden konnte, dann er, davon waren die meisten Freiberger nun überzeugt. Damit musste man sich abfinden und arrangieren. Hauptsache, es kamen endlich ruhigere, friedliche Zeiten!
Johanna hatte noch einige Stoffe auf Vorrat in der Truhe liegen, und so überlegten sie gemeinsam, was sich wohl daraus nähen ließ. Auch Franz und Eduard sollten neue Hosen und Jacken bekommen.
Lächelnd träumte sich Jette in das fliederfarbene Kleid hinein. Es war so schön geworden! Ihr wurde schon ganz kribbelig im Bauch vor lauter Vorfreude, auch wenn ein Teil von ihr über solche Eitelkeit schelten wollte.
Immer noch rührte sich nichts im Haus. Sie stand auf, legte sich ein Tuch um die Schultern, das so groß war, dass es ihr Nachthemd fast vollkommen bedeckte, öffnete vorsichtig die Tür und wollte leise hinunter in die Küche gehen, um ein Glas Milch zu trinken.
Zu ihrem Erschrecken bemerkte sie, wie die Tür des Salons gerade ebenfalls geöffnet wurde. Hastig wollte sie zurück in die Bibliothek flüchten. Doch dann sah sie, dass nicht etwa der Major aus dem Salon kam, sondern Nelli: im Unterkleid, barfuß und auf Zehenspitzen, die Schuhe in der Hand. Das rötliche Haar fiel ihr offen über den Rücken.
Das Dienstmädchen erschrak nicht weniger als Jette, fand aber schneller zu seiner Fassung zurück.
»Bitte verraten Sie mich nicht an die Herrschaften!«, wisperte Nelli. Und dann, fast trotzig: »Nun schauen Sie mich nicht so vorwurfsvoll an! Sie
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