1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
erledigen.«
»Aber ich muss doch um zehn in der Buchhandlung sein!«, erinnerte Jette.
»Ach was, vormittags kommt sowieso kaum Kundschaft! Dein Onkel und ich sind übereingekommen, dass es derzeit vollkommen ausreicht, sie nachmittags zu öffnen.«
Einen Moment lang überlegte Jette, wie sie nun die Vormittage zubringen würde. Aber in so einem großen Haushalt gab es immer genug Arbeit.
Also begleitete sie die Tante bei ihren Besorgungen, wobei sie der Verdacht beschlich, die waren nur ein Vorwand, damit jedermann in der Stadt ihr neues Kleid zu sehen bekam.
Doch im Gegensatz zu Jettes Vermutung wollte Johanna nicht prahlen. Sie wollte einfach nur diesen kleinen Glücksmoment im Leben ihrer Nichte ein bisschen verlängern und freute sich diebisch, dass endlich einmal Glanz in die Augen des Mädchens kam.
Natürlich musste das neue Kleid auch dem Oheim vorgeführt werden, der es in höchsten Tönen lobte – schon um des lieben Friedens willen.
Gemeinsam gingen sie hoch in die Bibliothek. Zu Jettes Überraschung war der Major im Haus, obwohl es helllichter Tag und die Mittagszeit noch nicht heran war. Die Tür zum Salon stand offen; er hatte wohl geschrieben, denn er hielt einen Federkiel in der Hand.
Sofort musste Jette an Nellis Geständnis vom Morgen denken. Das Blut schoss ihr ins Gesicht; mehr denn je verspürte sie Angst vor seiner männlichen Ausstrahlung.
»Er ist gut zu mir im Bett«, hatte Nelli gesagt. Was mochte das bedeuten? Doch darüber sollte sie lieber nicht nachdenken.
Der Major erhob sich und kam ihnen auf dem Flur entgegen.
»Ein neues Kleid? Sie sehen ganz bezaubernd darin aus, Demoiselle, mein Kompliment …«, sagte er und beugte sich über ihre Hand.
Wieder musste Jette an Nelli denken, und ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, während de Trousteau sich an den Buchdrucker wandte.
»Ich hielt schon Ausschau nach Ihnen und Demoiselle Henriette, um Ihnen als Erster die gute Nachricht mitzuteilen. Noch ist es nicht offiziell, aber es wird über einen Waffenstillstand verhandelt werden. Und unser Kaiser hat vorgeschlagen, einen Friedenskongress zu veranstalten.«
»Der Herr sei gelobt! Es gibt Frieden!«
Zu Tränen gerührt, schlug Johanna die Hände vor der Brust zusammen und sah den Major wie einen Friedensengel an.
Der hatte seine Gründe, den Optimismus seiner Gastgeberin nicht zu dämpfen. Wie fast alle Militärs hielt er wenig von der Idee des Kaisers zu einem Waffenstillstand, obwohl ihm klar war, dass vor allem die vielen jungen Rekruten der Grande Armée Zeit brauchten, um sich von den Strapazen der Eilmärsche zu erholen und ihre Ausbildung voranzutreiben. Aber auch der fast geschlagene Gegner würde nun wieder Kraft sammeln und neue Verbündete suchen.
Doch der Kaiser hatte entschieden. Und wenn es ihm beliebte, sich als Befürworter und Hüter des Friedens darzustellen, hatte er sicher seine Gründe dafür. Dass ihm das Sympathien bei der kriegsmüden Bevölkerung eintrug, zeigte die euphorische Reaktion der Frau des Buchdruckers.
»Wie gesagt, es ist noch nicht offiziell, aber die Russen und Preußen können sich kaum dagegen sträuben, sonst würden wir sie in der nächsten Schlacht erledigen. Das wäre für uns ein Kinderspiel.«
Jetzt wandte er sich wieder Henriette zu. »Also wird es ganz gewiss bald ein Fest geben, einen Ball, Demoiselle, wie ich es Ihnen versprochen habe. Nun halten Sie Ihr Versprechen und nehmen Sie Tanzstunden. Lernen Sie Walzer tanzen! Ich bestehe darauf. Und sollte mein Sohn noch nicht zurück sein, darf ich wohl als sein Vater Ansprüche auf die ihm zugesagten ersten beiden Tänze geltend machen?«
Henriette blieb nichts anderes übrig, als zu nicken. Ihr war so mulmig zumute, dass sie dem Major nicht ins Gesicht blicken konnte. Also sah sie an ihm vorbei zum Fenster des Salons, während die Tante erneut das Reden übernahm.
»Sie wird es lernen, Herr Major, das wird sie«, tirilierte Johanna. »Frieden, es wird Frieden! Ich hab es ja immer gewusst, dass alles wieder gut wird.«
Doch Jette hörte das schon nicht mehr. Ihr Blick war von etwas so gefangen, dass sie zum Fenster stürzte, um hinauszusehen. In ihrem Impuls vergaß sie sogar, dass der Salon jetzt das Quartier des Majors war.
Beunruhigt von ihrem Verhalten, folgten ihr de Trousteau und das Ehepaar Gerlach.
»Was ist das?«, fragte sie und wies nach draußen. »Wie können sie den armen Menschen so etwas antun?«
Über den unteren Markt wurden beinahe ein
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