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1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

Titel: 1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Soll er mal sehen, der Herr Major, wie es ist, wenn einem die Söhne wegsterben!«, sagte sie leise und unbeachtet von allen und spie aus.
     
    Schon vier Stunden lang waren Jette und der Major von einem Freiberger Lazarett zum anderen unterwegs, hatten sich durch die auf dem Stroh liegenden Verwundeten gezwängt, in schmerzverzerrte Gesichter geleuchtet, die Pfleger gefragt, ob sie einen Seconde-Lieutenant de Trousteau gesehen hatten.
    Es erleichterte ihre Suche, dass Jette vormittags bei der Krankenpflege half. So wusste sie, wo überall Verletzte untergebracht waren, und die Helfer gaben ihr bereitwillig Auskunft, obwohl sie mit der Arbeit nicht nachkamen. Im Laboratorium am Muldenweg hatten sie schon alles abgesucht, ebenso im Schießhaus. Dort trafen sie endlich auch den vollkommen übermüdeten Dr. Bursian, der eine blutbefleckte Schürze über der Kleidung trug.
    »Wir haben keine Zeit, Register zu führen! Sie sehen doch, was hier los ist«, sagte er und deutete auf den Fußboden, wo dicht nebeneinander ausgezehrte, verbundene Gestalten mit allen nur denkbaren Verstümmelungen lagen. »Hunderte Verletzte, die meisten davon in sehr schlechtem Zustand. Wir haben keine Betten, selbst auf dem Fußboden kaum noch Platz, geschweige denn Pfleger. Das gesamte medizinische Personal der Stadt besteht aus zwei Ärzten, einem Geburtshelfer und fünf Hebammen, die ich wegen der Ansteckungsgefahr nicht hierherkommen lassen darf. Einer unserer Ärzte, der gute Dr. Beyer, Gott hab ihn selig, ist uns schon im Frühjahr am Lazarettfieber weggestorben. Deshalb kann ich Fräulein Henriette nur in höchsten Tönen loben. Und auch unsere Ärzte tun es, die Herren Dr. Meuder und Dr. Drechsler. Sie ist sehr tüchtig und lernt schnell. Ehrlich gesagt, ist es mir wichtiger, dass die paar Helfer, die ich habe, den Verwundeten zu essen und zu trinken geben, die Verbände wechseln und waschen, statt sich mit Papierkram zu beschäftigen.«
    Er nahm die zerkratzte Brille ab, hauchte sie an und rieb sie an seinem Ärmel, um einen Blutspritzer vom Glas zu wischen. »Seit ein paar Tagen kommen immer neue Kranke, die meisten in furchtbarem Zustand. Manche sind schon tot, wenn sie bei uns eintreffen. Aber was erwarten Sie, wenn sie mit kaum versorgten Wunden tagelang über holprige Wege gekarrt werden?«
    Resigniert wies er zur Seite, wo zwei Tische standen. Auf einem amputierte der junge Dr. Meuder gerade einem wild brüllenden Mann ein Bein, auf dem zweiten lag ein regloser Körper; zwei Männer kamen und trugen ihn fort, hinter ein über eine Leine geworfenes Laken. Dorthin, das wusste Jette, wurden die Toten geschafft, bis sich am nächsten Tag jemand um ihr Begräbnis kümmern konnte.
    Rechts von ihnen erbrach sich gerade jemand qualvoll ins Stroh, ein paar Schritte weiter flößte eine alte Frau einem Mann mit einem Kopfverband etwas zu trinken ein, während sich der Mann neben ihnen aufbäumte und einen Schwall Blut spie.
    Jäh erstarb das Schreien auf dem Tisch; entweder hatte der Amputierte das Bewusstsein verloren oder war tot.
    »Sie geben sicher Ihr Bestes«, räumte de Trousteau ungeduldig ein. »Aber haben Sie nicht gesonderte Zimmer für die Offiziere?«
    »Über die Offiziere führen wir Listen, die fragen wir nach Namen und Regiment. Ihr Sohn ist nicht darunter. Sollte ich etwas erfahren, lasse ich es Sie sofort wissen.«
    Dr. Bursian bat darum, sich entfernen zu dürfen, er müsse sich dringend um den Amputierten kümmern.
    »Der braucht keine Hilfe mehr«, sagte der Major sarkastisch, nachdem der Arzt gegangen war.
    »Wir können morgen noch einmal alles absuchen, bei Tageslicht«, schlug Jette zaghaft vor. »Womöglich kommt er ja auch erst …«
    »Ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür, was Sie für mich getan haben. Für einen Vater, der in Sorge um das Leben seines Sohnes ist«, erwiderte der Major mit versteinerter Miene.
    Dann hieb er mit der Faust voller Wut gegen einen Pfeiler. »Ich hatte so sehr gehofft, dass wir ihn hier finden, dass er hierhergebracht wurde!«
    Er atmete tief ein und sagte dann milder: »Sie haben Ihr Bestes gegeben. Ich sehe doch, dass Sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Und ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie so ein zartes Wesen wie Sie das hier jeden Tag ertragen kann.« Mit einer Handbewegung zeigte er auf das Elend vor ihren Augen.
    Das ist der Krieg, hätte Jette ihm am liebsten seine eigenen Worte vorgehalten,

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