1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
hatte.
Selbst im Schlaf wurde sie die schrecklichen Bilder nicht los. In ihren Alpträumen mischte sich unter die blutverschmierten Gesichter der Männer, die sie umsorgte, immer wieder der Anblick jenes, den sie in Weißenfels niedergeschlagen hatte.
Da sie jeden Tag kam und bis zum Anbruch der Nacht blieb, sprachen die Verwundeten sie bald mit ihrem Namen an.
Auch Professor Werner rief sie nun nicht mehr »Mädchen«, sondern nannte sie freundlich »Fräulein Gerlach«. Der Oheim hatte vorgeschlagen, dass sie diesen Namen annahm, da sie nun schließlich zu seiner Familie zähle und außerdem niemand mit der Nase darauf gestoßen werden sollte, dass sie aus Weißenfels kam. Dort wurde möglicherweise ein Mädchen gesucht, das einen Franzosen erschlagen hatte.
Nachdem der berühmte Gelehrte Werner mit gutem Beispiel vorangegangen war, beteiligte sich auch die Freiberger Bürgerschaft tatkräftig an der Versorgung der preußischen Verwundeten.
Bis am 6 . Mai offiziell der Rückzug der preußisch-russischen Verbündeten bekanntgegeben wurde.
Da brach in der Stadt Panik aus.
Die Festung
Torgau, 6 . Mai 1813
E xzellenz, soll ich nicht doch den Arzt kommen lassen? Sie sind krank!«
Mit einem energischen Nein wies Festungskommandant Johann Adolph von Thielmann die Sorge seines Adjutanten zurück und versuchte, das fiebrige Frösteln und den dumpfen Schmerz zu unterdrücken, die ihn schon seit Tagen plagten.
»Bringen Sie mir etwas von diesem Pulver, das hat geholfen. Aber der Arzt soll mir fernbleiben. Ich will keine Gerüchte und Spekulationen, der Gouverneur könne seinen Pflichten nicht nachkommen. Außerdem haben wir schon viel zu viele Kranke hier.«
Düster wies er auf die Liste der Neuzugänge und Dienstuntauglichen, die er gerade vorgelegt bekommen hatte. Von den elftausendfünfhundert Mann Besatzung waren dreitausend krank; viele litten immer noch an den Folgen des Russlandfeldzuges, die meisten jedoch an dem Nervenfieber , das schon vor Wochen in der hoffnungslos überfüllten Stadt ausgebrochen war.
Es klopfte, und nach Thielmanns Erlaubnis trat ein junger Premierleutnant in der leuchtend rot-gelb-weißen Uniform des Sächsischen Leibgrenadierregiments ein.
»Nachricht von General Reynier aus Eilenburg«, meldete er und streckte dem Gouverneur einen versiegelten Brief entgegen.
»Lassen Sie sich verproviantieren und halten Sie sich bereit. Sie bekommen in Kürze ein Antwortschreiben«, instruierte ihn Generalleutnant Thielmann.
Franz von Dreßler, mit dreiundzwanzig Jahren schon Leibgrenadier des Königs, salutierte, machte kehrt und ging hinaus. Er hatte auch nicht damit gerechnet, für diesen Tag endgültig aus dem Sattel steigen zu können. Seit seiner Abkommandierung nach Torgau war er ständig mit Sonderaufträgen zwischen der Festungsstadt, dem sächsischen Hof, der sich vorübergehend in Prag befand, und verschiedenen Militäreinheiten unterwegs.
Rasch brach Thielmann das Siegel und überflog den nur aus wenigen Zeilen bestehenden Brief.
»Morgen stehen dreihunderttausend Mann französische Truppen an der Elbe. General Reynier und Marschall Marschall Ney marschieren mit ihren Korps auf Torgau. Reynier fordert mich auf, ihm unverzüglich die Festungstore zu öffnen«, informierte er seinen Adjutanten und Vertrauten Ernst Ludwig von Aster.
Die beiden Männer, zwei der fähigsten Militärs Sachsens – Thielmann als Kommandeur und Reitergeneral, Aster als Ingenieur –, tauschten einen düsteren Blick.
»Also morgen«, meinte Aster lakonisch.
Der Befehl kam nicht überraschend, nur sehr unwillkommen. Am Vormittag war schon eine Depesche des Majors von Odeleben eingetroffen, dass Napoleon bei Lützen einen großen Sieg über die Alliierten errungen habe, erneut über eine riesige Armee verfüge und die sofortige Übergabe der Festung und der sächsischen Truppen fordere.
Weder Thielmann noch Aster beabsichtigten, diesem Befehl nachzukommen.
In den letzten Monaten hatten sie gemeinsam dafür gesorgt, dass Torgau als wichtigster Brückenkopf über die Elbe ausgebaut, wehrfähig gemacht und mit Hunderten Kanonen bestückt worden war und sich hier die sächsische Armee sammelte. Wenn es nach ihnen ginge, sollten diese Festung und diese Armee nicht mehr den Franzosen dienen, sondern sächsischem Befehl unterstehen – nach außen hin neutral und insgeheim bereit für den von sämtlicher Vernunft gebotenen Übertritt zu den russisch-preußischen Alliierten.
Das Schicksal Torgaus könnte
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