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1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

Titel: 1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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hatte.
    Die Menschen, die ihm begegneten, verharrten bei seinem Anblick. Die Männer zogen ehrerbietig den Hut und grüßten: »Guten Morgen, Herr Professor!« Die Frauen knicksten und murmelten ihre Begrüßung deutlich leiser.
    Auch Jette brachte vor lauter Ehrfurcht nur ein kaum hörbares »Guten Tag, Professor!« heraus. Aber der offenbar ganz in Gedanken versunkene Mann beachtete sie nicht und stürmte weiter.
    Ich habe Werner gesehen, den großen Abraham Gottlob Werner !, dachte sie atemlos. Den Gelehrten, der die Welt der Minerale geordnet hat und zu dem Goethe kommt, um Gesteinsproben zu kaufen!
    Ihr Oheim hatte einige von Werners Arbeiten gedruckt und ihr Faszinierendes darüber erzählt. Eine Wunderwelt hatte sich für sie da aufgetan: Steine, die einander ganz ähnlich sahen, konnten doch von der Natur her grundverschieden sein, während sich andererseits Stücke in den verschiedensten Farben und Formen der gleichen Gruppe zuordnen ließen. Und die in Werners Mineralogie Bewanderten erkannten sogar an Form und Farbe, aus welcher Gegend der Welt ein Stein stammte! Das grenzte in Jettes Augen an Zauberei.
    Was sie beim Anblick des Gelehrten jedoch am meisten aufwühlte, war der Gedanke, dass Theodor Körner sein Schüler gewesen war. So verlor sie sich in Grübeleien, bis sie den Obermarkt erreichte.
    Doch was sie dort erwartete, vertrieb sofort all ihre Schwärmereien und Träumereien.
    Vor der Wache gegenüber dem Rathaus standen dicht an dicht Fuhrwerke, von denen einige schon leer waren, von anderen immer noch Verwundete in preußischen Uniformen abgeladen wurden; Männer mit blutigen Verbänden, etlichen waren ein Arm oder ein Bein amputiert. Manche stöhnten vor Schmerz, andere waren bewusstlos, ein paar standen auf Krücken gestützt gegen die Wand gelehnt und ließen sich von freiwilligen Helfern etwas zu trinken geben.
    Zaghaft näherte sich Jette dem Eingang, um Ausschau zu halten, bei wem sie sich mit dem Leinen und den Butterbroten der Tante melden sollte. Im Gebäude selbst konnte man vor lauter Verwundeten kaum gehen.
    Hier herrschte der gleiche Gestank nach Blut, Schweiß und Fäulnis, den sie aus dem Weißenfelser Lazarett kannte. So absonderlich es klingen mochte: Das war für sie der
Geruch
von
Schmerz.
Als könnte sie die unsäglichen Schmerzen der Verwundeten nicht nur spüren, sondern auch
riechen.
    Von hinten drangen ein paar energische Kommandos, ohne dass sie in dem Dämmerlicht erkennen konnte, wem sie galten.
    Bevor sie sich weiter umschauen konnte, rief ihr von der Seite jemand mit dunkler Stimme zu: »Steh nicht herum, Mädchen, hol Wasser! Die Männer müssen etwas trinken.«
    Sie wandte den Kopf und sah zu ihrem Erstaunen den großen Gelehrten Werner, der einem verwundeten Leutnant einen Becher reichte. Rasch stellte sie ihren Korb auf den nächsten Fenstersims, nahm den Krug heraus, den ihr die Tante wohlweislich eingepackt hatte, lief zu dem großen Fass neben der Wache und füllte ihn.
    So verbrachte Henriette ihre ersten Tage in Freiberg damit, Seite an Seite mit dem berühmten Abraham Gottlob Werner verletzten preußischen Soldaten und Offizieren Wunden zu verbinden, ihnen etwas zu trinken und zu essen zu geben.
    Die weniger schwer Lädierten wurden nur notdürftig versorgt und gleich weiter Richtung Dresden gebracht. Das ließ darauf schließen, dass die russisch-preußischen Alliierten mit dem raschen Nachrücken den Franzosen rechneten.
    Doch der größte Teil der Preußen in der Hauptwache, fast durchweg junge Männer, war zu stark verwundet dafür. Einige rangen mit dem Tod.
    Anderen musste der junge Dr. Meuder noch ein Bein oder einen Arm amputieren.
    Dann flößte Jette ihnen so viel Branntwein ein, wie zur Verfügung stand, meist nicht mehr als zwei Daumenbreit, um wenigstens einen Teil der Schmerzen vorübergehend zu lindern … oder den Anschein davon zu vermitteln.
    Sie hielt ihnen die Hand, wenn sie vor Schmerz und Verzweiflung schrien, obwohl dabei ihre schmalen Finger fast zerquetscht wurden; sie kühlte ihnen die Stirn und flüsterte tröstende Worte. Das Herz quoll ihr über vor Trauer und Mitleid, wenn sie zusehen musste, wie diese jungen Männer verstümmelt wurden, damit sie wenigstens eine geringe Chance hatten weiterzuleben.
    Am liebsten wäre sie vor all dem Elend und dem Leid weggerannt. Doch es war für sie nicht nur ein Akt der Nächstenliebe hierzubleiben, sondern eine selbst auferlegte Buße. Die Buße dafür, dass sie ein Leben genommen

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