1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Gedanke hämmerte durch Thielmanns Kopf, wieder und wieder.
Noch einmal trank er einen Schluck Wasser, dann schloss er die Augen und dachte nach. Wenn der König jetzt wankt, dann muss ich entweder einen Verrat begehen, für den ich die Todesstrafe verdiene und für den man mich noch lange nach meinem Tod als Verräter beschimpfen wird. Oder ich trage gegen meine Überzeugung dazu bei, dass dieses endlose Morden weitergeht.
Sprachlos vor Staunen starrte Lisbeth auf die Stadt vor ihren Augen. Der Anblick ließ sie für einen Moment sogar die Strapazen ihrer abenteuerlichen Reise vergessen, die schmerzenden Füße, die geschwollenen Beine und das Stechen in der Brust. Sie war vor vier Jahren schon einmal hier gewesen, zum Begräbnis einer entfernten Verwandten. Aber Torgau war nicht wiederzuerkennen. Ganze Viertel waren abgerissen, sogar zwei Kirchen; stattdessen war die gesamte Stadt in ein einziges Bollwerk verwandelt, wie ein vieleckiger Stern aus dicken Mauern, von dessen bedrohlichen Spitzen den Kommenden Geschütze entgegenstarrten.
Am stark bewachten Tor herrschte Gedränge. Doch da sie Rekruten und Ausrüstung brachten, wurden sie bevorzugt abgefertigt.
Es schienen vier- oder gar fünfmal so viele Leute in der Stadt zu sein wie zu normalen Zeiten, fast alle in den leuchtenden Uniformen der sächsischen Armee: weiß-grün, weiß-blau, weiß-rot oder weiß-gelb die Infanterie, rot-grün-weiß die Artillerie, hellblau die Husaren, grün die Jäger , rot-gelb-weiß die Leibgrenadiere.
Durch die überfüllten Straßen mussten sich die Neuankömmlinge mit ihrem Fuhrwerk lautstark den Weg bahnen. Überall standen, liefen, exerzierten Militärs, dazwischen drängten sich Zivilisten, die in Körben oder auf Handkarren Lieferungen brachten: Brot, Eier oder Säcke voll Korn. Ein paar Gassenjungen jagten einem Huhn hinterher, das wer weiß wem ausgerissen war, und im Mittelpunkt des Durcheinanders prügelten sich zwei Frauen und beschimpften sich deftig zur Belustigung der Leute, die ihnen dabei zusahen.
In merkwürdigem Widerspruch zu den klaren Anzeichen einer bevorstehenden militärischen Auseinandersetzung stand, dass etliche Häuser mit Birkenreisern und Bannern geschmückt waren, auf denen die Stadt dem Festungskommandanten zum Geburtstag gratulierte. Das Fest musste angesichts der vor sich hin welkenden Blättergirlanden schon mindestens eine Woche zurückliegen. Aber entweder hatten die Torgauer Wichtigeres zu tun, als den Schmuck zu entfernen, oder sie drückten ihre Sympathie für den Gouverneur aus, indem sie den Zierat hängen ließen. Das würde Lisbeth schnell herausfinden. Aber schon jetzt stärkte es ihre Überzeugung, dass der Kommandeur und Schwiegersohn des verblichenen Bergrates von Charpentier ein feiner Mensch sei und ihr helfen würde.
Zum Glück wusste Josef, wohin, und lenkte das Fuhrwerk Richtung Schlosshof. Auch der war voll von Bewaffneten, nur wurde hier akkurater exerziert.
Der Fähnrich, der sie von Freiberg her begleitet hatte, versammelte seine Rekruten um sich, hielt ihnen eine Ansprache aus wenigen markigen Worten und schickte sie dann in die Kleiderkammer, um sich ausrüsten zu lassen.
»Ich werde mindestens den halben Tag zu tun haben, bis alles ordnungsgemäß abgeliefert und quittiert ist«, sagte der Fuhrmann zu seiner Frau. Er hieß ihr Vorhaben immer noch nicht gut. Aber er hatte es nicht geschafft, sie davon abzubringen.
Was wird dabei herauskommen durch ihre Starrsinnigkeit?, dachte er verbittert. Sie stört hier nur die Leute, kriegt am Ende noch Ärger deshalb, und wenn sie die Wahrheit erfährt, die sie mir nicht glauben will, nimmt das Heulen kein Ende.
Doch Lisbeth schien voller Hoffnung. »Dann treffen wir uns heute Abend hier wieder, ja?«, sagte sie, und ihre Augen leuchteten, dass es Josef beinahe das Herz brach.
Gib auf, du wirst hier keinen deiner Söhne finden, Weib!, hätte er am liebsten geschrien. Stattdessen brummte er etwas in seinen Bart und zurrte an einem Strohbündel herum, das sich gelockert hatte.
Lisbeth war kaum gute Worte von ihrem Mann gewohnt. Deshalb erwartete sie auch keine, sondern hielt lieber Ausschau, bei wem sie sich erkundigen könnte. Ihr Herz hämmerte schon vor lauter Vorfreude.
Vielleicht entdeckte sie ja einen der Jungen gleich hier auf dem Schlosshof? Aber dazu war das Gewimmel zu groß.
Sie strich das Haar unter ihrer Haube ordentlich zurück, legte ihr bestes Brusttuch um – jenes, das sie sonst nur beim
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