1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
haben, kann ich für die paar Tage auch mit Jette selbst etwas kochen«, erklärte Johanna großzügig. »Schließlich stellte sich doch einst sogar die Königin von Preußen an den Herd, Gott hab sie selig, die schöne Luise!«
Zum Glück sind wenigstens Lisbeths jüngste Söhne vor dem Soldatenlos sicher, dachte sie bedrückt. Karl ist zwar schon fünfzehn Jahre alt, stark und breitschultrig, aber er hinkt, weil nach einem Knochenbruch sein rechtes Bein nicht ordentlich verheilte. Und Anton ist erst zwölf und selbst für dieses Alter ein winziges Bürschlein. Die beiden werden ihr erhalten bleiben, so Gott will.
Karl und Anton wurden von ihren Eltern beauftragt, den Stall auszumisten, Holz zu hacken, das Zaumzeug zu putzen und ihrer Tante Thea beim Feuern und Wasserholen zur Hand zu gehen. Dann brachen Josef und Lisbeth auf, von den guten Wünschen der Gerlachs begleitet.
Johanna hatte diese erste Überraschung kaum verwunden, als kurz nach dem Frühstück die nächste hereinplatzte – in Gestalt ihres Mannes, der jetzt doch eigentlich in der Druckerei sein sollte. Jette stand gerade in einem halb aufgetrennten Kleid auf einem Hocker im Salon, während Johanna und Nelli ihr den Saum und die Ärmellänge absteckten.
Verlegen wandte sich Friedrich Gerlach um und sprach mit verdrehtem Kopf gegen die Türfüllung.
»Es kommen gerade haufenweise preußische Verletzte von der Schlacht am Sonntag in die Stadt. Dr. Bursian und meine Logenbrüder bitten um jede Hand, die hilft!«
»Ich kann gehen«, sagte Henriette sofort und mit vorsichtigem Blick auf ihre Tante, weil diese womöglich widersprechen würde. »Dafür ist mein altes Kleid gut genug. Wenn du noch eine Schürze für mich hast …«
»Willst du das wirklich auf dich nehmen?«, fragte der Onkel besorgt und zweifelnd. »Du wirst dort schlimme Dinge zu sehen bekommen.«
»Ich habe schon in Weißenfels Verletzte gepflegt«, erwiderte Jette fest.
Sie hatte etwas wiedergutzumachen vor Gott und der Welt; Abbitte dafür zu leisten, dass sie womöglich getötet hatte.
»Die Männer werden nicht lange bleiben, sie müssen schnell transportfähig sein, denn die Preußen ziehen sich rasch zurück, und die Franzosen folgen ihnen auf dem Fuß«, berichtete der Buchdrucker bedrückt. »Johanna, Liebe, schau bitte nach, was wir noch an Leinen entbehren können. Und sie brauchen etwas zu essen.«
Nun endlich nahm Johanna die Nadeln aus dem Mund, die sie für das Abstecken zwischen die Lippen geklemmt hatte. Nur deshalb hatte sie so lange geschwiegen.
»Dann haben also die Franzosen gesiegt am Sonntag, wenn sich die Preußen in solcher Eile zurückziehen«, schlussfolgerte sie nüchtern. »Was bedeutet, sie fallen vielleicht morgen oder übermorgen schon wieder in die Stadt ein. Gott steh uns allen bei!« Hastig schlug sie ein Kreuz.
»Wohin bringen die Preußen ihre Verwundeten?«, fragte Jette.
»In die Hauptwache. Alle Lazarette sind überfüllt.«
»Ob das wohl klug ist, vor aller Augen in der Hauptwache auf dem Obermarkt Preußen zu versorgen, wenn vielleicht schon morgen wieder die Franzosen hier einrücken?«, überlegte Johanna halblaut. »Es wird genug Leute geben, die sich bei ihnen beliebt machen wollen mit … gewissen Informationen …«
»Es ist vielleicht nicht klug, aber es ist menschlich!«, wies ihr Mann sie ungewohnt streng zurück.
Entrüstet richtete sich Johanna auf. »Wir werden ihnen ja helfen, natürlich werden wir das, schon aus reiner Christenliebe! Nur behalte im Auge, mein guter Friedrich, dass uns einige Mitbürger vielleicht einen Strick daraus drehen könnten. Deshalb bereite Buchhandlung und Druckerei lieber darauf vor, dass wir bei einer Durchsuchung nichts zu befürchten haben! So, und nun gehe ich und mache Butterbrote für die armen Seelen in der Hauptwache.«
Mit wehenden Röcken verschwand sie in die Küche.
Jette ließ sich von Nelli heraussuchen, was an Leinen noch im Haus entbehrlich war.
Halb mitleidig, halb vorwurfsvoll sah Johanna ihre Nichte an, als sie ihr einen großen Stapel Butterbrote in den Korb legte. Viel mehr war nicht im Haus, und das Pfund Butter kostete nun schon einen Taler.
Tanzstunden für das Mädchen wären ihr weiß Gott lieber gewesen.
Es war nicht weit zur Hauptwache, nur durch ein paar gewundene Gassen bis zum Obermarkt. Auf halbem Weg sah Jette einen vornehm gekleideten Mann an sich vorbeieilen, der sein dichtes, helles Haar entgegen der Mode immer noch zum Zopf zusammengebunden
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