1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
diesen ganzen Krieg entscheiden.
Im März hatte Thielmann Napoleons »Eisernen Marschall« Davout noch abweisen können und dessen Befehl verweigert, zwei französische Bataillone und eine Kompanie in der Festung aufzunehmen. Dafür konnte er sich auf eine Order seines Königs berufen. Doch nun war Napoleon offensichtlich entschlossen, Torgau notfalls mit militärischer Gewalt zu erobern. Morgen also, wenn ihm nicht noch ein Wunder glückte.
Der Moment der Stille und der Blick, den die beiden Männer miteinander tauschten, verriet ihre ungeheure Anspannung.
»Schicken Sie Premierleutnant Dreßler mit der Nachricht zu General Reynier, dass ich gemäß den Befehlen meines Königs niemanden in die Festung lassen werde«, wies Thielmann seinen Adjutanten mit Schärfe in der Stimme an. »Ich bin bereit, außerhalb der Stadt mit ihm zu reden. Seine Truppen sollen jedoch nicht auf Kanonenschussweite an Torgau herankommen.«
Von Aster nickte, stolz auf die Unnachgiebigkeit des Kommandanten, und wollte kehrtmachen, aber Thielmann gab noch einen weiteren Befehl.
»Ich will morgen auf allen Wällen Kanoniere mit brennenden Lunten an den Geschützen, während ich mit Reynier spreche.«
Als er allein im Zimmer war, lehnte sich Generalleutnant von Thielmann, für seinen herausragenden Mut in der Schlacht von Borodino vom König in den Stand eines Freiherrn erhoben, in seinem Stuhl zurück, um durchzuatmen. Durstig trank er mit einem Zug das Glas Wasser leer, in das er die Medizin des Arztes gerührt hatte, goss noch einmal nach und öffnete den obersten Knopf seiner blauen Uniformjacke. Er war einmal ein gutaussehender Mann gewesen, doch auf dem Russlandfeldzug nicht nur bis auf die Knochen abgemagert, sondern äußerlich um zwanzig Jahre gealtert. Aber vielleicht lag es auch an den Hiobsbotschaften der letzten Tage, dass er sich so elend fühlte.
Er hatte keine Furcht vor der morgigen Begegnung mit Napoleons General. Den würde er abweisen wie zuvor Davout oder für seine Überzeugung sterben. Einlassen würde er ihn nicht. Er war entschlossen, nur noch seinem König und seinem Gewissen zu gehorchen.
Doch wenn es ihm morgen nicht gelang, Reynier davon abzuhalten, Stadt und Festung unter Beschuss zu nehmen, würde es nicht nur furchtbare Opfer unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung geben, für die er die Verantwortung trug. Dann würde auch der Ruf seines Königs befleckt werden, der angewiesen hatte, die Festung niemandem auszuliefern.
Was Thielmann noch mehr fürchtete: dass sich König Friedrich August von Sachsen nach der unerwarteten Wende in Großgörschen wieder unter die Fuchtel Napoleons stellte und beschloss, die Festung für die französische Armee zu öffnen, womit er ihr den wichtigsten Übergang über die Elbe, elftausendfünfhundert Mann, Hunderte Kanonen und Proviant für mehrere Monate überließ.
Gleich nach seiner Heimkehr aus Russland hatte der neu ernannte Freiherr von Thielmann in Dresden mit seinem Freund, dem Appellationsrat Christian Gottfried Körner, und dem Geheimen Finanzrat von Zezschwitz Pläne geschmiedet, um den König zu überzeugen, Torgau für neutral zu erklären. Zezschwitz seinerseits stand in engem Kontakt mit Minister Senfft von Pilsach und dem jungen Generaladjutanten des Königs, dem Generalmajor von Langenau, die beide für ein Bündnis mit Österreich plädierten.
Thielmann erhielt das Kommando über Torgau und setzte seinen Willen durch, die sächsischen Truppen hier zu sammeln. So konnten die Alliierten Dresden beinahe kampflos einnehmen.
Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, den König davon zu überzeugen, und ein radikaler Entschluss für den Regenten, der seit dem Beitritt Sachsens zum Rheinbund vor sieben Jahren widerspruchslos sämtliche Befehle Napoleons ausgeführt hatte.
Dass Bonaparte trotz zweimaliger Proteste des sächsischen Königs die mit ihrer Pracht und einer Länge von achthundert Schritten als Wunderwerk Europas geltende Dresdner Brücke hatte sprengen lassen, hatte sicher dazu beigetragen.
Friedrich August von Sachsen war maßlos entrüstet gewesen – über die Zerstörung des Bauwerkes ebenso wie über das Ignorieren seiner Wünsche. Doch das war im März gewesen. Wie lange würde er noch den Forderungen des Kaisers nach der sächsischen Armee widerstehen? Auch wenn er jetzt weit fort war, mit dem Hof im Exil in Prag, um einer Gefangennahme durch die Alliierten zu entgehen.
Wenn der König jetzt wankt, ist alles verloren – dieser
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