1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
platzen würden.
Da waren für Jette Kleider umzuarbeiten, damit das arme Ding auch einmal aus dem Haus konnte. Dann würde sie mit ihr zur Putzmacherin gehen und einen Hut für sie aussuchen, etwas Zartes, aus Stroh geflochten und mit einem breiten Satinband, passend zum Kleid. Und außerdem musste sie dringend herausfinden, wann und wo das Mädchen Tanzunterricht nehmen konnte. Es gab einen neuen Tanzlehrer in der Stadt, der dem Vernehmen nach sogar Walzer unterrichtete statt nur Kontratänze und Menuett, das mittlerweile doch als ein wenig altmodisch galt. Wenngleich dem Walzer zweifellos etwas Verruchtes anhaftete, weil sich die Paare die ganze Zeit berührten und die Kleidersäume der Damen durch die schwungvollen Drehungen über die Fußknöchel wirbelten. Walzer wurde nur an den großen Höfen getanzt. Aber – da hatte sie sich gleich gestern noch bei der Nachbarin erkundigt, die drei Töchter in mehr oder weniger heiratsfähigem Alter erzog – es gab sittlich durchaus respektable Zwischenformen. Diese musste Jette unbedingt beherrschen, wenn sie in die Gesellschaft eingeführt wurde. Sie war nun siebzehn, da wurde es höchste Zeit! Ihr Vater, Gott hab ihn selig, hatte das wegen seines Witwerstandes auf unverzeihliche Weise vernachlässigt.
Um Franz machte sich Johanna viel weniger Sorgen. Mit dem sollte Eduard nach der Schule ein paar Schreib- und Rechenübungen machen, dann würden sie ohnehin bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu Lisbeths Söhnen gehen oder durch die Stadt stromern und den letzten verbliebenen Kosaken bei ihren Reiterkunststückchen zusehen.
Falls ihr lieber Mann und Jette darauf bestanden, dann sollte das Mädchen eben in der Buchhandlung den Verkauf übernehmen. Aber erst wenn sie etwas Anständiges zum Anziehen hatte! Und neue Schuhe! Die alten waren ja völlig hinüber. Vielleicht konnte sie gleich noch ein paar weiße Tanzschuhe mit in Auftrag geben.
Zum Glück hatte Johanna sparsam gewirtschaftet. Das Verlegen von Büchern war in den letzten Jahren immer schwieriger geworden, jede einzelne Ausgabe musste in Frankreich genehmigt werden, und schon die dabei anfallenden Gebühren waren exorbitant. Dazu kamen die Kosten für die Zensur der
Gemeinnützigen Nachrichten,
zwei Groschen pro Seite, und die drohenden Strafgelder bei nachträglichem Missfallen durch den Leipziger Zensor. Aber aus dem Erlös der Königsbilder sollten ein paar Ballschuhe für Jette abfallen. Gott segne Zar Alexander für seinen Besuch in Freiberg!, dachte Johanna mit feinem Lächeln im Bett, als sie hinüberlugte, ob ihr Mann schon wach war.
Er schien noch zu schlafen, also nutzte sie die seltene Zeit der Muße, um in Gedanken das viel zu große Nachthemd aus Musselin, das sie Jette gestern gegeben hatte, zu einem Ballkleid für die Nichte umzuarbeiten. Musselin war kostbar geworden, seit wegen der Kontinentalsperre die feinen englischen Garne nicht mehr an die sächsischen Weber geliefert wurden. Ein anderer Schnitt, ein bisschen Tüllstickerei, rosa Satinbänder zur Zierde … ja, das konnte ganz allerliebst werden! Vorausgesetzt, man unterstellte ihr beim Tragen von englischem Musselin nicht etwa irgendwelche politischen Hintergedanken. Es war schon riskant genug, wenn ihr lieber Friedrich sich bei seinen Logenbrüdern mit dergleichen abgab.
In solche Überlegungen war Johanna noch immer vertieft, als Lisbeth vor dem Frühstück die gesamte Familie Gerlach mit der Bitte überraschte, ihr für ein paar Tage freizugeben, damit sie nach Torgau reisen und dort ihre vermissten Söhne suchen könne.
»Mein Josef bringt heute Rekruten dorthin, zusammen mit einer Lieferung Leder und Lazarettstroh. So muss ich nicht allein reisen. Thea, meine Schwester, wird derweil für Sie sorgen, wenn es Ihnen recht ist«, hatte die Köchin entschlossen erklärt, um dann beinahe verzweifelt anzufügen: »Inzwischen sind doch die meisten aus Russland zurück. Und sie schaffen es einfach nicht, ihrer alten Mutter ein Lebenszeichen zu schicken …«
Friedrich Gerlach brachte es nicht über sich, diese Bitte abzulehnen, obwohl er die Aussichten für äußerst gering hielt, dass die bemitleidenswerte Lisbeth Tröger in Torgau auch nur einen ihrer Söhne fand. Aber vielleicht bekam sie Gewissheit. Das war in seinen Augen immer noch besser als dieses unbestimmte Warten.
Also gaben er und Johanna der verzweifelten Mutter ihre Segenswünsche mit auf den Weg und versicherten, sie kämen schon zurecht.
»Aus dem bisschen, was wir
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