1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
und so musste er laut rufen, um sich bemerkbar zu machen, was ihm wütendes Geschrei aus der Nachbarschaft und eine Schüssel voll Schmutzwasser eintrug, die ihn nur knapp verfehlte.
Bevor Greta all die Fragen stellte, die ihr auf der Zunge lagen, kümmerte sie sich erst einmal um Jette, deren erbärmlicher Zustand nicht zu übersehen war.
»Sie müssen aus den nassen Sachen raus, sofort!«, entschied sie und schob sie ins Schlafzimmer. Dort half sie der bibbernden Jette aus der Kleidung, hüllte sie in eine Decke und steckte sie unter ein Federbett. »Ich bringe gleich noch eine Wärmflasche und etwas Heißes zu trinken. Haben Sie Hunger?«, fragte die junge Frau, deren Niederkunft allem Anschein nach bald bevorstand.
»Nein, mir ist nur furchtbar kalt und müde zumute«, brachte Jette zähneklappernd heraus. Sie schloss die Augen und rollte sich zusammen, um das schmerzhafte Ziehen in ihrem Unterleib zu unterdrücken, das eingesetzt hatte, nachdem sie sich in der Kirche über die beiden Mädchen geworfen hatte, und das seitdem immer schlimmer wurde.
Bekam sie nun mit zweimonatiger Verspätung doch noch die erlösende Gewissheit,
nicht
schwanger zu sein? Oder hatte sie dem Ungeborenen mit der hastigen Flucht aus Liebertwolkwitz zu viel zugemutet?
Sie hörte Greta in der Küche mit den Herdringen klappern, während Felix ihr und Hermann leise etwas erzählte, das sie nicht verstehen konnte. Kurz darauf brachte die junge Frau eine kupferne Wärmflasche und schob sie ihr unter die Decke. Einen Becher mit heißer Milch hatte sie zunächst abgestellt und drückte ihn nun Henriette in die Hand. Die bedankte sich von Herzen und hielt panisch nach einem Gefäß Ausschau, in das sie sich erbrechen konnte, falls ihr von dem Geruch abermals schlecht wurde.
»Ich nehme Ihre Sachen mit und bügele sie trocken«, sagte Greta dann. »Von allein trocknen die nie bis morgen. Es ist noch etwas Eintopf übrig, möchten Sie eine Schüssel voll? Noch haben wir Holz zum Kochen, aber nicht mehr lange …«
Doch Jette wollte nur schlafen. Sie schaffte es nicht einmal mehr, die Milch auszutrinken. Sie rollte sich noch enger zusammen, überaus dankbar dafür, hier als Fremde ohne Fragen aufgenommen worden zu sein. Das verdankte sie allein Felix und seiner Freundschaft zu dem jungen Paar. Und natürlich Gretas Großherzigkeit sogar in diesen schweren Zeiten.
Dann schloss sie die Augen und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Nun musste es wohl schon Morgen sein, denn den Geräuschen nach saßen Hermann, Greta und ihr Sohn mit Felix beim Frühstück. Sie hatten offenbar beschlossen, Henriette schlafen zu lassen, solange sie schlafen konnte, damit sie zu Kräften kam. Aber Hermann musste ja zur Arbeit.
Im Halbdunkel des Raumes erkannte Jette, dass an der Tür ihr Kleid hing. Sie könnte jetzt aufstehen, aber sie fühlte sich immer noch zu elend. Und allein der Gedanke an Essen ließ erneut Übelkeit in ihr aufsteigen.
Also zog sie sich die Decke bis unter die Nase und lauschte dem Gespräch draußen.
»Wie ist es dir und Ludwig nach der Verhaftung Mahlmanns ergangen?«, fragte Felix gerade. Etwas über Ludwig zu erfahren, darauf war auch Henriette brennend erpicht.
»Ludwig wohnt ganz in der Nähe. Die Hauseigentümer nehmen lieber noch einen Untermieter auf, als drei Franzosen einquartiert zu bekommen. Es geht ihm gut, er bekommt nun auch vollen Lohn. Und Mahlmann musste nur ein paar Tage in Erfurt absitzen. Seine einflussreichen Dresdner Freunde sorgten schon dafür, dass er bald freikam. Wenn gerade keine Franzosen in der Nähe sind, brüstet er sich damit, an den Wänden des Gefängnisses einige seiner patriotischen Gedichte gefunden zu haben – hingekritzelt von Lützowern, die dort vor ihm eingesperrt waren. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Frag doch mal bei deinen Leuten nach, das würde uns hier schon interessieren!«, meinte Hermann scherzhaft.
Eine Tasse klapperte, dann hörte sie ihn seufzen.
»Mit der Zeitung wird es immer schlimmer. Sie haben seit Mahlmanns Rückkehr jemanden zur Beaufsichtigung der Redaktion geschickt, einen Baron Bacher, und seitdem drucken wir eigentlich nur noch, was der hereinreicht. Die Texte lesen sich, als kämen sie direkt aus Napoleons Hauptquartier. Wahrscheinlich ist es sogar so. Ich weiß nicht, wie gut du über das Kriegsgeschehen der letzten Wochen informiert bist, aber ginge es nach dem, was wir drucken, erringt Bonaparte weiter einen Sieg nach dem anderen. Dabei pfeifen die
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