1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
sie lieben sich wirklich sehr – hat ihm vor zwei Wochen einen kleinen Jungen geboren. Frau Wächtler holte ihn auf die Welt, wie damals auch meinen Paul.«
»Stellt euch vor, Anschütz will den Knaben Kutusow Bernadotte Wellesley nennen!«, meinte die Alte grinsend. »Das nenne ich patriotisch gedacht!«
Greta lachte. »Patriotisch wäre Blücher noch dazu! Der arme Junge, wie werden ihn später einmal seine Spielgefährten rufen? Aber Hauptsache, sein Vater nennt ihn nicht Napoleon …«
»Das wäre ja noch schöner! Zum Teufel mit dem Pack, das uns nur Krieg und Not beschert!«, schimpfte die Alte. »Kein Korn mehr in der ganzen Stadt aufzutreiben, kein Strohhalm, kein Stück Leinen, kein Gramm Butter. Ich habe gerade noch drei Scheite Holz. Ab morgen kann ich weder kochen noch heizen. Auf den Straßen überall Soldaten. Und wie die sich aufführen, die Einquartierten! Fordern nur vom Allerfeinsten, als ob wir hier noch etwas hätten, und hausen wie die Vandalen! In der Reichsstraße hat vorgestern ein Franzose eine Frau über den Haufen geritten, das ganze Pflaster war voller Blut. In unseren schönen Promenaden ist jeder Baum abgesägt und zu Feuerholz für ihre Biwaks zerhackt worden. Und habt ihr gehört, was gestern vorm Kohlgärtner Tor los war?«
»Ich war dort«, sagte Henriette. »Und zuvor in Liebertwolkwitz, mitten in den Kämpfen. Das halbe Dorf ist abgebrannt, sie beschossen sogar die Kirche mit Kanonen, während die Dorfbewohner dort Schutz suchten.«
»Da kann man schon einmal ein bisschen blass um die Nase aussehen«, lenkte die Wehfrau ein. Sie trank ihren Tee aus und stemmte sich ächzend hoch.
»Ich geh dann wieder. Mal sehen, ob heute noch ein Kind auf diese Welt geholt werden will.«
»Es ist nicht die Zeit, um Kinder zu gebären, mitten im Krieg …«, sagte Jette bedrückt.
»Keines wird deshalb drinbleiben«, widersprach ihr die Alte sarkastisch. »Es werden zu jeder Zeit Kinder geboren werden. Das Leben setzt sich immer durch.«
Henriette hob den Kopf. »Wenn ich sehe, was sich da draußen zusammenbraut … Wie soll ich noch glauben, dass das Leben den Tod besiegt?«
»Wir Frauen gebären die Kinder, und wenn sie groß geworden sind, holt der Krieg sie uns weg. Deshalb müssen neue Kinder her«, sagte die Wehfrau kategorisch. »Männer nehmen Leben, Frauen schenken Leben. So ist es seit Anbeginn der Zeit.«
Prüfend blickte sie noch einmal auf Gretas Leib. »Ich denke, dein Wunsch geht in Erfüllung. Diesmal wird es ein Mädchen.«
Die junge Frau strahlte. »Ein Schwesterchen für dich, Paul! Was meinst du?«, fragte sie ihren Sohn. Der zuckte nur mit den Schultern.
Die Alte verabschiedete sich und schlurfte hinaus.
»Und du, was hast du nun vor?«, fragte Greta.
»Ich will in den Lazaretten helfen.«
»Lazarette findest du hier auf Schritt und Tritt. Jedes nur erdenkliche Haus ist jetzt Lazarett, sogar das Gewandhaus. Und fast jede Kirche. Aber denkst du, dass du das aushältst?«
Dieses Mädchen sah nicht so aus, als wäre sie harte Arbeit gewohnt. Ganz abgesehen von dem furchtbaren Anblick, den die Verwundeten boten.
»Ich habe das schon zu Hause getan. Und wenn ich mir ausmale, was morgen geschieht …«
»Es wird schlimm genug, wenn sie sich da draußen auf den Feldern totschlagen!«, meinte Greta wütend. »Aber falls sie den Krieg auch noch in die Stadt tragen … Es war leichtsinnig von dir hierherzukommen.«
Sie zögerte einen Moment. »Ist es wegen Felix?«
»Nein«, gab Jette mit gesenkten Lidern zu.
Da fuhr ein so stechender Schmerz durch ihren Leib, dass sie sich zusammenkrümmte und kaum noch Luft bekam. »Ich glaube, ich blute …«, stöhnte sie. »Wo ist bei euch der Abtritt? Die halbe Treppe tiefer?«
»Geh auf das Nachtgeschirr!«, rief Greta. Falls es eine Fehlgeburt war, musste die alte Wehfrau begutachten können, was der Körper abstieß. Das wusste sie aus eigener trauriger Erfahrung.
Schmerzgekrümmt stürzte Jette in das Zimmer, in dem sie geschlafen hatte, und zog das Nachtgeschirr unter dem Bett hervor.
Greta ließ ihren Sohn zur Familie des Musiklehrers rennen, um die Frau Wächtler höflich zu bitten, noch einmal zu kommen, wenn sie das Neugeborene versorgt hatte.
Bald kehrten die beiden zurück. Paul wurde zum Spielen hinausgeschickt, die alte Wehfrau inspizierte den Inhalt des Nachtgeschirrs und konstatierte: »Es ist alles heraus, das ist das Gute am Schlechten. Schone dich ein bisschen, wenn du kannst, dann bist du morgen wieder
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