1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
liebten und verehrten, in solche Gefahr geraten war, entlockte sogar den Menschen einen besorgten Aufschrei, die an diesem Tag ihr Haus und ihre Habe verloren hatten und nun die Nacht bei schlimmstem Wetter unter dem freien Himmel verbringen mussten.
Nur Felix war der sächsische König gleichgültig. Es war nicht
sein
König. Seine ganze Sorge galt Jette. Ihre Zähne klapperten vor Kälte, und sie sah aus, als würde sie jeden Moment umfallen. Jetzt krümmte sie sich mit schmerzverzogenem Gesicht zusammen, die Hände an den Unterleib gepresst.
Rasch überredete er die dürre Frau, ihm die ohnehin leere Kiepe als Sitzgelegenheit für seine Schwester zu borgen. Als Jette sich darauf zusammenkrümmte, legte er ihr seinen Mantel um die Schultern, ohne auf ihre Proteste zu achten, und sagte: »Lehn dich an mich. Ich wärme dich.«
»Du wirst dich erkälten!«, protestierte sie matt.
Felix lächelte schief. »Wenn ich in den nächsten Tagen sterbe, dann bestimmt nicht am Schnupfen.«
Das ließ Jette verstummen.
Ein entsetzlicher Sturm heulte auf in dieser Nacht über Leipzig, knickte Bäume um, fegte Schornsteine von den Dächern, riss Fensterflügel ab. Sintflutartiger Regen ging über das Land nieder. Es war, als wollten die Naturgewalten das nahende Inferno auf ihre Art ankündigen. Als wollten die entfesselten Elemente die Menschen warnen und von dem Ort wegtreiben, an dem sich so viel Unheil ereignen würde.
Doch die Soldaten ließen sich nicht wegtreiben. Durchnässt bis auf die Haut, frierend, hungernd, viele von Schmerzen gequält, klaubten sie jedes bisschen Holz zusammen, um ihre Wachtfeuer am Brennen zu halten.
Von allen Seiten marschierten Truppen in die Tiefebene um Leipzig; Zehntausende, Hunderttausende, Menschen aus vielen Nationen. Manche kämpften für Sold, andere für eine Idee, für die Freiheit, für ihr Vaterland.
Die meisten von ihnen glaubten noch daran, hier den Sieg für ihr Land und ihre Ideale zu erringen.
Der Tag vor der Schlacht
Leipzig und Pegau, 15 . Oktober 1813
D ie Leipziger erwarteten, dass an diesem Morgen die große Schlacht beginnen würde, und lauschten ängstlich, wann der Kanonendonner einsetzte. Doch noch blieb es ruhig.
Das wunderte und erleichterte sie ungemein. Aber jeder wusste, das konnte sich schon in der nächsten Minute ändern. So weit man von den Dächern und Türmen aus sehen konnte, lagerten Truppen wie ein schwarzer, tödlicher Ring um die Stadt, der Dutzende Dörfer in sich aufgesogen und zerstört hatte.
Leipzig selbst war befestigt worden: die äußeren Tore mit Palisaden versehen, spanische Reiter davor, in Wände und Tore Schießscharten geschlagen, überall Patrouillen und Bewaffnete.
Die Schlacht um Leipzig war unausweichlich. Es blieb lediglich die Frage, wann sie begann.
Die Entscheidung, ob an diesem Tag – einem Freitag – gekämpft werden würde, lag bei Napoleon .
Die Alliierten waren sich immerhin darin einig, nur zu reagieren, falls er die Initiative ergriff, denn ein beträchtlicher Teil ihrer Truppen würde erst im Verlauf des Tages eintreffen. Blüchers Schlesische Armee sowie die Nordarmee Bernadottes standen noch fast einen Tagesmarsch entfernt, manche Kontingente sogar noch weiter.
Napoleon entschied, und zwar in aller Herrgottsfrühe, die für diesen Tag geplante Schlacht auf morgen zu verschieben, denn auch seine Korps waren längst nicht alle eingetroffen. Deshalb befahl er Eilmärsche für diejenigen, die aus reiner Erschöpfung die Strecke bis Leipzig noch nicht bewältigt hatten.
Am Morgen erstattete ihm Murat im Vetterschen Landhaus in Reudnitz Bericht über den Verlauf des Reitergefechtes vom Vortag.
Dann, gegen zehn, ritten sie gemeinsam hinaus und besichtigten das Kampfgebiet. Der Kaiser erkundete ausgiebig das Gelände und begab sich auf eine Anhöhe westlich von Liebertwolkwitz, den Galgenberg, um von diesem Punkt aus die Schlachtordnung auszuarbeiten. Ein großes Wachtfeuer wurde angezündet, damit es der Kaiser etwas wärmer hatte. Er sprach mit Joachim Murat, Berthier und anderen seiner Marschälle und Generäle und teilte ihnen seine Pläne mit.
Wieder einmal befand er sich in der strategisch besten Position. Er besaß Leipzig, er verfügte dank Joachim Murats gestrigem Einsatz über diesen Höhenzug, auf dem sich eine riesige Batterie Kanonen aufstellen ließ, er konnte weitere Geländefalten für den gedeckten Anmarsch seiner Reserven nutzen, die dann überraschend über den Feind herfielen.
Die
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