1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Kreis hatte er auch den jungen Friedrich von Hardenberg kennengelernt, der sich als Dichter Novalis nannte, und mit Julie von Charpentier bekannt gemacht. Die beiden verliebten sich ineinander, verlobten sich, doch die Hochzeit sollte tragischerweise nicht mehr stattfinden, da der begnadete Dichter vor nun schon zwölf Jahren an einem Lungenfieber starb.
Seine eigene Hochzeit mit Wilhelmine durfte Thielmann vor zweiundzwanzig Jahren feiern. Sie führten eine gute Ehe, auch wenn sie davon überschattet wurde, dass sechs ihrer elf Kinder schon in jüngstem Alter starben. Doch dass seine wahre Seelengefährtin Wilhelmines jüngere Schwester Karoline war, hatte er zu seiner Bestürzung erst nach der Hochzeit begriffen. Ob sie das aus seiner regen Korrespondenz mit ihr wohl je erahnte? Karoline blieb ein Traum, ein unerfülltes Sehnen, das er für immer in seinem Herzen verschloss.
Sein zweiter großer Fehler, dies musste sich der Generalleutnant bei nüchterner Rückschau eingestehen, war weitaus folgenreicher.
Als das sächsische Heer 1806 gemeinsam mit den Preußen gegen Napoleon kämpfte und in Jena vernichtend geschlagen worden war, schickte man ihn wegen seiner brillanten Französischkenntnisse als ersten Unterhändler zu Napoleon, um die Kapitulationsbedingungen in Erfahrung zu bringen. Zu seiner großen Verwunderung bot der Kaiser der Franzosen ein Bündnis an: Sachsen sollte nicht wie Preußen als Verlierer behandelt werden, sondern dem Rheinbund beitreten, und würde dafür von ihm zum Königreich erhoben.
Damals war er geblendet von der überwältigenden Ausstrahlung dieses Mannes, seiner militärischen Brillanz und seinem Charme, begeistert von Napoleons Vision eines vereinten, fortschrittlichen Europas ohne Zollschranken und Kleinstaaterei. Er war dem großen Menschenverzauberer verfallen und bereit, ihm blindlings zu folgen.
Bis nach Russland.
Dadurch blieb Sachsen das harte Schicksal Preußens erspart, konnte er sich immerhin sagen. Es bestand weiter, wurde sogar Königreich und bekam das Herzogtum Warschau zugeschlagen. Ein Königreich ließ sich nicht so einfach von der Karte streichen, wie es vielen Kleinst- und Stadtstaaten, aber auch Herzogtümern in den letzten Jahren widerfahren war, als Napoleon mit einem simplen Verwaltungsakt das alte deutsche Kaiserreich für aufgelöst erklärte, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.
Doch was Thielmann auf dem Feldzug nach Russland erlebte, beendete auf drastische Weise seine Loyalität zum Kaiser der Franzosen.
Damals führte er das Kommando über die beiden Kürassierregimenter und die 2 . Reitende Batterie Hiller, insgesamt eintausendsechshundertfünfzig Mann.
Schon auf dem Weg nach Moskau musste er hilflos mit ansehen, wie seine Truppen durch Versorgungsmängel und die Ruhr noch vor den ersten Kämpfen um ein Drittel dezimiert wurden. Immer wieder hatte er sich für die ihm Unterstellten eingesetzt, sich dafür mit Vorgesetzten angelegt und sogar das Kriegsgericht riskiert.
Reynier, der morgen hier mit seiner Streitmacht eintreffen würde, kommandierte die sächsischen Verbände innerhalb der Grande Armée; genau genommen war er immer noch Thielmanns Vorgesetzter.
Borodino wurde für den sächsischen Generalleutnant zum Wendepunkt. Als er dort erlebte, wie leichtfertig und ohne die geringsten Skrupel Napoleon die Sachsen, Bayern, Württemberger und Polen voranschickte, sie oft sogar sinnlos opferte, nur um seine Franzosen zu schonen, da erlosch seine Bewunderung für den Imperator restlos.
Starr und steif ließ er es geschehen, dass ihn Murat , der König von Neapel und Schwager Napoleons, nach der Schlacht vor allen begeistert umarmte. Da war sein Inneres schon zu Stein geworden.
Mit verbissener Entschlossenheit führte er die wenigen Überlebenden zurück in die Heimat, durch unendliche Ebenen und heftige Schneetreiben, bei klirrendem Frost und ohne Proviant, immer wieder angegriffen von Kosakenverbänden, gegen die sie anfangs noch in den Kampf ritten, solange sie wenigstens einige Pferde hatten. Einmal in einer verlassenen Bauernkate ein paar Strohbüschel für ein Feuer und eine Kiepe Roter Rüben zu finden war ein Fest. Sie aßen Fleisch von Hunden oder krepierten Pferden, oder sie hungerten. Manchmal gewährten ihnen Juden, die sich nicht als Russen fühlten, für eine Nacht Unterkunft. Währenddessen hatte Napoleon seine Truppen längst verlassen, um in Frankreich eine neue Armee aus dem Boden zu stampfen.
Mit jedem weiteren
Weitere Kostenlose Bücher