1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
herumärgern musste? Die sächsischen Verbündeten sind wirklich sehr ungastlich uns gegenüber. Männer wollen nun einmal ein wenig Zerstreuung vor der Schlacht.«
Die sächsischen Verbündeten wären gastlicher, wenn ihr ihnen nicht alle Vorräte gestohlen und das Land verwüstet hättet, dachte Henriette wütend.
Stattdessen sagte sie: »Zerstreuung sollen sie bei den Frauenzimmern suchen, die sie freiwillig gewähren. Davon gibt es genug in dieser Stadt. Die
Gastlichkeit,
die
ich
Ihren Männern gewähre, besteht darin, ihre Wunden zu verbinden und an ihrer Seite zu sein, wenn sie qualvoll sterben.«
Wütend und immer noch erstaunt über sich selbst, holte sie den Schutzbrief des Majors und das auf Deutsch und Französisch abgefasste Empfehlungsschreiben Dr. Bursians auf ihrem Korb und streckte beides dem General entgegen.
Gereizt legte dieser das Besteck beiseite, ließ sein Spiegelei kalt werden und überflog die Schreiben.
»Nur deshalb, Demoiselle, sei Ihnen Ihre Dreistigkeit verziehen! Und nun verschwinden Sie, bevor ich mir es anders überlege und Sie für Ihre Frechheit verhaften lasse.«
Jetzt sollte Henriette wohl schleunigst gehen, statt ihr Schicksal noch einmal herauszufordern. Aber sie konnte nicht anders, als sie den üppig gedeckten Frühstückstisch des Generals sah.
»Es gibt für Ihre verwundeten Männer nichts mehr zu essen im Lazarett. Haben Sie ein Herz, geben Sie mir wenigstens das Brot für sie mit! Ich bitte Sie! Es ist für Ihre Soldaten …«
Der General starrte sie wie ein sonderbares Wesen aus einer fremden Welt an. Dann ließ er den Blick über die Tafel schweifen, auf der Käse, Wurst, Schinken und Eier standen, ein paar Äpfel dazu, Honig, Marmelade und sogar ein Rührkuchen.
Mürrisch wies er auf den Korb, in dem ein rundes, in Scheiben geschnittenes Brot lag. Die größte aus der Mitte lag auf seinem Teller; er hatte kaum davon abgebissen.
Rasch nahm Jette das Brot samt der Serviette aus dem Korb und schlug das bestickte Leinentuch um das kostbare Geschenk; sie würde es der Wirtin heute Abend zurückgeben. Höflich bedankte sie sich, knickste tief und huschte davon.
Brot, sie hatte Brot!
So trat sie in den kalten, verhangenen Oktobermorgen hinaus. Kein Sonnenstrahl drang durch die graue Wolkenschicht. Das Donnergrollen der Kanonen rund um die Stadt hatte längst begonnen. Erneut waren die Straßen voller Verwundeter, die frierend oder erfrierend auf den nackten Pflastersteinen lagen oder an den Hauswänden lehnten. Wer von ihnen Glück im Unglück hatte oder sich diesen Platz rücksichtslos erkämpfte, drängte sich zusammen mit den Leidensgefährten unter den Rathauskolonnaden, die wenigstens Schutz vor dem Regen boten.
Ein Stück vor ihr prügelten sich zwei Männer in zerlumpter Kleidung um den starren Körper einer toten Katze, die sie vermutlich als nächste Mahlzeit auserkoren hatten.
Zivilisten, die zur Verteidigung der Stadt abkommandiert worden waren, überquerten den Marktplatz mit finsteren Mienen.
Einige Frauen standen in der Nähe des Rathauses und sahen mitleidlos auf die verwundeten Franzosen, ehe sie den Blick demonstrativ von ihnen abwandten.
»Es ist eine Vereinbarung über die Stadt abgeschlossen worden«, sagte die eine so laut, dass Jette es hören konnte. »Bis heute zwölf bleibt die Stadt verschont!«
»Dann lasst uns beten, dass die Rathausuhr nie mehr zwölf anzeigt«, entgegnete die andere.
»Ist das sicher?«, fragte die Dritte und winkte einen Mann in grauem Reitmantel und grauem Hut herbei, der einen Zettel am Eingang des Rathauses befestigte.
»He, Sie da, Sie sind doch einer der Rathausschreiber?«, schrie sie ungeniert zu ihm hinüber.
Als dieser nickte, schritt sie ihm entgegen, sorgfältig bemüht, weder auf einen Verletzten noch in eine der vielen Blutlachen zu treten. Die beiden anderen Frauen folgten ihr.
»Stadtschreiber Münchow«, stellte sich der hochgewachsene Mann vor und lüpfte kurz seinen Zylinder. »Lesen Sie gleich die neueste Bekanntmachung!«
Auch Jette trat näher.
»Wir sollen Geschirr und Betten abgeben. So eine Frechheit, die haben sich doch schon alles geholt!«, regte sich eine der Frauen auf.
»Wisst ihr noch? Genau auf den Tag vor sieben Jahren sind die Franzosen bei uns in Leipzig eingerückt, und was haben sie seitdem für Unglück über uns gebracht!«
»Stimmt es, dass die Alliierten die Stadt bis heute Mittag verschonen werden?«, fragte die Dritte.
Artur Reinhold Münchow bestätigte.
»Und
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