1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Zeschau.
»Ich übernehme die volle Verantwortung für die Folgen meines Handelns, vor Gott und dem König«, erklärte der Oberst von Brause mit fester Stimme. »Aber ich werde nicht alle meine Männer in den sicheren Tod schicken, wenn ich es verhindern kann.«
Zeschau schnappte nach Luft. An den Reaktionen der anderen Befehlshaber erkannte er, dass sie ebenso dachten wie Brause und Ryssel.
»Ich werde nichts dergleichen dulden, solange ich nicht die entsprechenden Befehle Seiner Majestät des Königs habe«, erwiderte er aufgebracht und wandte sich an den Adjutanten seines Generalstabs, den Kapitän von Nostitz. »Sie reiten nach Leipzig, erklären Seiner Majestät die Lage und bitten um klare Instruktionen.«
Damit schien ihm die Krise erst einmal abgewendet. Für ein paar Stunden. Solange sie auf den Befehl des Königs warteten, würde es niemand wagen, zum Feind überzulaufen.
Nostitz salutierte und lief los, um sich sein Pferd bringen zu lassen. Doch bevor er aufbrach, suchte der Kapitän die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch unter vier Augen mit seinem General.
»Es wird mehrere Stunden dauern, bis ich zurück bin. Wer weiß, ob ich überhaupt durchkomme. Und ob mich Seine Majestät oder Generalstabschef Gersdorff empfangen«, zählte er vorsichtig seine Bedenken auf.
»Es ist mir egal, wie Sie es anstellen. Und ob Sie es bis Leipzig schaffen oder nicht!«, fauchte Zeschau ihn an. »Begreifen Sie nicht, was hier los ist? Ich will Sie spätestens zwei Uhr nachmittags wieder hier sehen, und zwar mit einer königlichen Order. Egal, wie Sie an diese kommen! Lassen Sie sich etwas einfallen. Notfalls schreiben Sie sie selbst!«
Dann befahl er dem entgeisterten Nostitz, endlich seinem Pferd die Sporen zu geben.
Petit ange
Leipzig, 18 . Oktober 1813
A ls Henriette an diesem Morgen von ihrer winzigen Dachkammer herunterstieg, um zu ihrer Arbeit zu gehen, tönte eine befehlsgewohnte Stimme durch das Haus. Der bei der Witwe einquartierte General beschwerte sich lauthals über das Frühstück und den miserablen Wein, der ihm gestern Abend zugemutet geworden sei.
Jette vertraute darauf, dass seine resolute Gastgeberin schon die rechten Worte für ihn finden würde; die hatte Haare auf den Zähnen. Schon konterte sie lautstark, sie könne schließlich nicht zaubern, sie habe ihm das Beste und Letzte aufgetafelt, was Keller und Speisekammer noch hergaben, und sie esse nicht einmal halb so gut wie er. Wenn das Angebotene dem verwöhnten Gaumen des Herrn Generals nicht genüge, müsse er sich eben in der Kommandantur bewirten lassen.
Jette hoffte, unbemerkt von allen aus dem Haus zu kommen. Doch eine der Ordonnanzen des Generals stellte sich ihr auf der Treppe entgegen und versperrte ihr den Weg.
»Warum so eilig, Demoiselle? Wollen Sie den siegreichen Männern der Grande Armée nicht ein wenig Entgegenkommen zeigen?«
Er sah sie mit einem Lächeln an, das ihr Angst einflößte.
So fest sie konnte, antwortete sie: »Es tut mir leid, Monsieur, ich muss ins Lazarett, da warten andere Männer der Grande Armée auf mich: die Verwundeten!«
»Das eilt nicht«, meinte der Adjutant gleichgültig. »Die meisten von denen sind sowieso schon tot. Oder werden es in einer Stunde sein.« Er legte eine Hand in ihren Nacken und zog sie an sich.
»Lassen Sie mich gehen!«, forderte Henriette panisch und versuchte, sich ihm zu entwinden.
Doch er umklammerte ihr Handgelenk mit eisernem Griff und wollte sie zu einem Kuss zwingen.
Wütend schlug sie ihm mit der Rechten auf die Wange und schrie: »Wagen Sie es ja nicht, mir etwas anzutun! Sonst werde ich in alle Welt hinausrufen, dass ein Mädchen Sie geschlagen hat! Es kümmert mich nicht, was dann mit mir passiert! Sie werden der Blamierte sein!«
Als er sie immer noch nicht losließ, aber offensichtlich vor Überraschung einen Moment nicht recht wusste, was er tun wollte, rief sie: »Monsieur le général, Monsieur le général! Man hindert mich daran, Ihren Verwundeten in den Lazaretten zu helfen!«
Nun ließ der Adjutant sie los, und in einem Anfall von Wut und Todesverachtung stürmte sie in das Zimmer, in dem der General sein Frühstück einnahm.
Erstaunt und äußerst ungehalten starrte er auf sie, wobei Eigelb von seiner Gabel troff.
»Was erdreisten Sie sich?«, fauchte er.
»Ihr Adjutant benahm sich soeben unziemlich mir gegenüber.«
»Und deshalb stören Sie mich beim Essen? Nachdem ich mich eben schon mit der Zimmerwirtin und ihrem respektlosen Mundwerk
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