1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
werden.
Frieden. Freiheit. Brüderlichkeit.
Ein befreites, einiges Vaterland.
Niemand von den jubelnden Menschen auf dem Leipziger Marktplatz kam auf den Gedanken, dass es das alles nicht geben würde. Dass sie vielleicht nur ein Übel gegen das andere eingetauscht hatten. Und dass Hunger und Typhus bald noch viel schlimmer in ihrer Stadt wüten würden.
In Erwartung eines herzlichen Willkommens war der sächsische König vor die Tür des Apelschen Hauses getreten und winkte den Monarchen huldvoll zu. Doch die starrten einmütig an ihm vorbei. Nicht einer würdigte ihn auch nur eines Blickes.
Irritiert trat August von Sachsen einen halben Schritt zurück.
Wann würden sie ihn zu sich bitten?
Sie taten nichts dergleichen.
Stattdessen erschien der ursprünglich sächsische, nun in österreichischen Diensten stehende Rittmeister Graf von Schulenberg, Adjutant des Fürsten von Schwarzenberg, im Apelschen Haus und bat den fassungslosen Friedrich August um seinen Degen. Der Kaiser von Österreich richte aus, Seine Majestät habe sich fortan als Gefangener der Alliierten zu betrachten.
Peinlich berührt durch die außergewöhnliche Situation, entschuldigte sich der Graf bei seinem einstigen Herrscher: »Zur Ausführung dieses betrüblichen Auftrags bin ich erwählt worden, um Euer Majestät die Kränkung zu ersparen, sich einem Russen oder Preußen ergeben zu müssen.«
Das muss ein Irrtum sein! Ein Alptraum, dachte Friedrich August, während sein Frau und seine Tochter in Tränen ausbrachen.
Ich bin ein
König!
Einen König nimmt man nicht gefangen!
Den ganzen Nachmittag wartete er darauf, dass jemand kam, den Irrtum aufklärte, eine untertänigste Entschuldigung vortrug und ihn zur Siegesfeier einlud. Erst als ihm am Abend der russische Gesandte ein Schreiben des Zaren überbrachte, er habe sich auf seine Abreise nach Berlin vorzubereiten, begriff Friedrich August von Sachsen, dass er wahrhaftig ein Kriegsgefangener war.
Die alliierten Herrscher hatten sich längst geeinigt, den König von Sachsen zum Gefangenen zu erklären und nach Berlin zu bringen. Fürst Repnin-Wolkonski würde Gouverneur für Sachsen werden. Dem alten Wettinerfürsten – so der Plan des preußischen Staatsministers von Hardenberg – könnte man vielleicht nach einiger Zeit ein kleines, weit abgelegenes Fürstentum antragen, und wenn er starb, war der Titel des Königs von Sachsen auch formell erloschen. Spätestens dann ließe sich Sachsen problemlos an Preußen anschließen.
Aber davon ahnten die Leipziger noch nichts, die den siegreichen Monarchen so begeistert zujubelten. Auch wenn mancher von ihnen seinen König vermisste.
Henriette hörte den Jubel vom Marktplatz und malte sich die Bilder aus, die sich dort abspielten. Doch sie brachte es einfach nicht fertig, jetzt aufzustehen und zu gehen. Sie konnte sich nicht einmal rühren, so erstarrt war sie vor Kälte im Herzen und im Leib.
Die Kirchentür wurde aufgestoßen. Benommen blinzelte sie gegen das hereinströmende Licht, um etwas zu erkennen. Dort standen zwei Preußen in Uniform; einer stützte den anderen, dem Blut aus einer Wunde am Bein rann.
Er setzte ihn auf dem Boden ab, blickte sich um und fragte in sehr offiziellem Tonfall: »Wie viele Verwundete können Sie hier aufnehmen?«
Erst an der Stimme erkannte Henriette ihn und war wie vom Schlag getroffen. Vor ihr stand Maximilian Trepte.
Nun erkannte er sie auch und versuchte zu begreifen, was er sah. Inmitten sterbender Franzosen kniete Henriette Gerlach, das Mädchen, von dem er seit einem halben Jahr träumte. Dessen Gesicht er sich in Erinnerung gerufen hatte, um sich in den dunkelsten Momenten dieses Krieges Mut zu machen.
Die Eine, der sein Herz gehörte.
Sie kniete dort mit tränenüberströmtem Gesicht, und in ihren Armen hielt sie einen toten französischen Leutnant.
Die Sonne strahlte über der Siegesparade auf dem Leipziger Marktplatz. Sie schien auf jubelnde Kämpfer, die für diesen Moment all die Strapazen und blutigen Opfer vergaßen. Sie schien auf jubelnde Leipziger, die überglücklich waren, dass ihre Stadt noch stand und sie lebten. Gemeinsam feierten sie den Sieg und das Ende des Krieges.
Doch der Krieg war nicht zu Ende.
Napoleon und der größte Teil seiner Armee waren Richtung Westen entkommen, ungehindert dank der Intervention des Kaisers von Österreich. Der unerbittliche General Blücher hatte das Korps Yorck – und mit ihm Felix – bereits nach Halle geschickt, wo sie
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