1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
sich vor dem König in einem Brief dafür gerechtfertigt.
Wenn Carlowitz jetzt hier wäre, könnten wir gemeinsam noch etwas bewirken?, fragte er sich verzweifelt. Doch die Mission in Prag war wichtiger gewesen.
Thielmann ignorierte die bohrenden Blicke seiner ranghöchsten Offiziere. Nach ein paar Bissen legte er Messer und Gabel beiseite, verzichtete auf den Kaffee und ließ sich stattdessen ein Glas warmes Wasser bringen.
Bald darauf hob er die Tafel auf und ging in sein Zimmer.
»Ich bin für niemanden zu sprechen«, instruierte er von Aster.
»Vorhin konnte ich unauffällig ein paar Worte mit dem Generalstabschef wechseln«, sagte der Militäringenieur mit gedämpfter Stimme. »Der König entschied vollkommen allein, ohne sich mit seinen Ministern und Ratgebern zu bereden. Minister Senfft von Pilsach hat sofort um seine Entlassung nachgesucht.«
»Das ändert nichts an der Tragödie«, entgegnete sein Vorgesetzter bitter. »Kommen Sie in einer Stunde zu mir.«
Thielmann trat ans Fenster, sah hinunter auf den Schlosshof, wo nach wie vor Rekruten das Exerzieren übten und gerade eine Ladung neuer Suhler Gewehre ausgepackt wurde. Dabei verspürte er den jähen Impuls, mit der bloßen Faust die Scheibe zu zerschlagen.
Doch er beherrschte sich und ging zum Tisch.
Voller Bitternis wog er das Stück Papier in beiden Händen, das Sachsens Schicksal in diesem Krieg entschied und alle seine Hoffnungen auf eine kühne Wende sterben ließ.
Noch einmal las er die Zeilen, obwohl sie sich bereits bei der ersten flüchtigen Lektüre in sein Hirn eingebrannt hatten. Er sollte Festung und Besatzung Reynier übergeben und jenem sämtliche Mannschaften überlassen, die er zur Eingliederung in sein Siebentes Armeekorps forderte. Die Rekruten auf dem Hof, die neuen Suhler Gewehre, alles würde nun seinen Feinden in die Hände fallen …
Angewidert warf er den Brief von sich und stützte den Kopf auf die Hände. Was blieb ihm zu tun?
Eines stand fest: Niemals würde er den Franzosen Torgau übergeben, um nichts in der Welt! Lieber als Verräter gebrandmarkt werden!
Doch er hatte seinem König einen Eid geleistet. Es ließ sich nicht mit seiner Auffassung von Ehre vereinen, einem unmissverständlichen Befehl des Königs zuwiderzuhandeln. Bestenfalls konnte er bis zum Abend hinauszögern, die Order bekanntzugeben.
Wenn doch nur General Kleist, der mit seinem russisch-preußischen Korps Torgau am nächsten stand, heute noch eintreffen könnte!
Hastig griff er nach Papier und Feder und schrieb in seinem aufgewühlten Zustand mit wenigen Zeilen an den preußischen Generalleutnant seine ganze Fassungslosigkeit nieder. »Der König von Sachsen hat auf eigene Faust seinen Frieden mit Frankreich gemacht. Wäre es Zeit, dass Sie binnen weniger Stunden kommen könnten, so würde ich Ihnen noch die Festung zu übergeben imstande sein. Aber man hat mich so gefasst, dass ich nichts mehr tun kann. Können Sie nicht kommen, so ist alles verloren.«
Er warf die Feder von sich und verteilte dabei Tintenspritzer über die Tischplatte. Kleist stand mit seinen Truppen viel zu weit entfernt, um bis heute Abend hier zu sein!
Ruhelos erhob er sich, holte seine Duellpistole aus dem mit Intarsien geschmückten Kasten und legte sie vor sich auf den Tisch. Dann setzte er sich wieder und starrte auf die vertraute Waffe.
Einen Weg gab es immer für einen Militär, selbst in einer ausweglosen Lage seine Ehre zu bewahren.
Die Franzosen würden ihn zweifellos vors Kriegsgericht stellen und hatten seine Todeskugel schon gegossen. Er fürchtete den Tod nicht, nicht mehr. Dafür hatte er ihm zu oft ins Antlitz geblickt. Er würde es als ungeheuerlichen Verrat an Sachsen und dem ganzen deutschen Vaterland betrachten, ihnen die Festung auszuliefern.
Wenn er aber dem ausdrücklichen Befehl des Königs zuwiderhandelte, würde man ihn zu Recht ebenso als Verräter verurteilen.
Konnte er das Unheil wirklich nicht aufhalten?
Wäre es sein bester Dienst für das Land, von eigener Hand zu sterben? Oder vermochte er wenigstens ein Geringes zu bewirken, indem er weiterlebte?
Noch einmal griff er zur Feder und fügte seinem Brief an den preußischen Generalleutnant einen Zusatz an: »Ich verlasse Armee, Vaterland, alles, und flüchte zu Ihnen, um mit Ihnen zu sterben.«
Dann lehnte er sich zurück und schloss die Augen.
Die Würfel waren gefallen.
Es klopfte. Von Aster trat ein, richtete seinen Blick sofort auf die Duellpistole vor Thielmann und
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