1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
hatten Truppen geschickt, um die Franzosen beim Brückenbau zu stören, denn ihre sich Richtung Bautzen zurückziehenden Heere brauchten mehr Zeit zum Sammeln.
Napoleon hatte das kommen sehen, schon drei Uhr morgens den Wall am Zwinger inspiziert und persönlich festgelegt, wo dort Geschütze aufzustellen seien.
Bald gab es Tote und Verwundete in der Stadt, Kugeln schlugen nahe dem Schloss und der katholischen Kirche ein.
Da sich unter dem feindlichen Feuer mit den Überresten der Holzbrücken nichts bewerkstelligen ließ, befahl Napoleon schließlich, die gesprengte steinerne Brücke notdürftig wieder herzurichten, was die Dresdner trotz aller Angst mit grimmiger Genugtuung registrierten. Sollten die Franzosen selbst reparieren, was sie zerstört hatten!
Die Frage war nur, ob der Kaiser diesmal die Kunstschätze der Stadt verschonen würde oder Dresden so ausplündern würde wie Berlin.
Ich wünschte, mein König wäre hier und könnte dem Einhalt gebieten, dachte der Major von Odeleben während des Beschusses der prachtvollen Residenzstadt.
Das wünschten sich auch viele Dresdner, die bangten und hofften, Napoleon möge sich daran erinnern, dass Sachsen und Frankreich immer noch Verbündete waren.
In seinem Haus am Kohlmarkt trat Christian Gottfried Körner neben seine Frau Minna, die reglos am Fenster stand und nach draußen starrte. Mit der Rechten hielt sie ein Medaillon umklammert, in dem ein Miniaturbildnis ihres Sohnes Theo verborgen war, der auf preußischer Seite im Lützower Freikorps kämpfte. Emma, ihre Tochter, hatte es gezeichnet. Während Kanonenkugeln mitten in der Stadt einschlugen, vibrierte der Boden und klirrten die Scheiben. Unten wartete die Kutsche, sie hätten die Stadt schon längst verlassen sollen, denn die Franzosen hatten auf ihren Sohn ein hohes Kopfgeld ausgesetzt. Aber sie waren wie gelähmt von dem, was sich ihren Augen darbot.
»Das wird ein Ende haben«, sagte Körner leise zu seiner Frau, fast beschwörend. »Dresden ist nicht Moskau. Es wird nicht brennen. Hauptsache, unser Junge lebt. Er ist gerade zum Leutnant befördert worden, er wird dazu beitragen, dass das ein Ende hat – mit Feder und Schwert …«
Der Befehl zur Übergabe
Torgau, 10 . Mai 1813
G eneralleutnant Thielmann aß mit seinen Stabsoffizieren zu Mittag, als der Generalstabschef des Königs, Generalleutnant Carl Friedrich Wilhelm von Gersdorff, mit einem Schreiben in der Hand den Salon betrat. Bei seinem Anblick durchfuhr Thielmann eisige Kälte. Es bestand keinerlei Zweifel daran, welchen Befehl er überbringen würde.
Gestern schon war Freiherr von Friesen als Vertreter der Regierungskommission in Torgau aufgetaucht und hatte ihn aufgefordert, die Festung an Reynier zu übergeben. Das konnte er noch mit dem Verweis darauf ablehnen, dass er einen solchen Befehl nur von seinem König oder dem Kaiser von Österreich entgegennehmen dürfe.
Diesen Befehl würde ihm Gersdorff nun aushändigen.
Er nahm den Brief entgegen, erbrach das Siegel, überflog ihn und steckte ihn, ohne eine Miene zu verziehen, in den rechten Frackschoß seiner Uniform. Dann ließ er noch ein Gedeck für den Gast auflegen, bat ihn zu Tisch und widmete sich weiter seinem Essen, als hätte diese Sache keine Eile.
Dröhnende Stille schwebte im Raum, da der Gouverneur das Gespräch nicht von neuem eröffnete, sondern sich so benahm, als wäre nichts Besonderes geschehen.
Mühsam zwängte sich Thielmann von nun an jeden Bissen unter den argwöhnischen und prüfenden Blicken seiner Generäle hinein. Er hatte zum Mittag für sich ohnehin nur ein leichtes Gericht aus gedünstetem Fisch bestellt. In den letzten anderthalb Tagen hatten ihn so heftige Gallenkoliken befallen, dass er dienstuntauglich gewesen war; Fieberschübe und jähe, krampfartige Schmerzen fesselten ihn ans Bett. Diesen Augenblick erzwungener Tatenlosigkeit nutzten seine beiden Widersacher im Torgauer Kommando, Generalmajor von Steindel und Generalleutnant Sahrer von Sahr, um in einem eigenen Tagesbefehl öffentlich zu verkünden, der Befehl Seiner Majestät des Königs besage ausdrücklich, die Festung niemandem zu übergeben.
So vereitelten sie, dass Thielmann eigenmächtig mit der Besatzung zu den Alliierten übertrat. Die Mannschaft war durch und durch königstreu und nun klar instruiert.
Ein kluges Manöver, das er ihnen nicht einmal vorwerfen konnte, denn der König hatte tatsächlich befohlen, dies öffentlich zu machen, aber er hatte das unterschlagen und
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