1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
erstarrte.
»Rufen Sie für drei viertel sechs die Generäle und Stabsoffiziere zusammen. Ich muss ihnen den Befehl des Königs bekanntgeben«, befahl der Gouverneur. »Doch zuerst senden Sie eiligst dieses Schreiben durch einen schnellen und vertrauenswürdigen Kurier an General von Kleist!«
Rasch, aber mit sicherer Hand faltete er den Brief, erhitzte Siegelwachs und verschloss das Schreiben, während sein Adjutant die Pistole nicht aus den Augen ließ.
»Ich werde das Kommando an Steindel übergeben und die Festung heute noch verlassen. Soll von Steindel den Befehl des Königs ausführen«, erklärte Thielmann. »Ich will und kann diese Schuld nicht auf mich laden.«
»Sie nehmen Ihren Abschied?«, vergewisserte sich Aster.
Als sein Vorgesetzter nickte, sagte er sofort und sehr erleichtert: »Ich gehe mit Ihnen. Zu den Russen oder den Preußen, wie Sie entscheiden. Dort ist jetzt unser Platz, wenn wir etwas für das Vaterland tun wollen.«
Thielmann war ihm dankbar für diese Worte. Aber nun drängte die Zeit. Der Brief an Kleist musste auf den Weg. Und er hatte noch einige Schriftstücke aufzusetzen. Zu packen gab es nichts, denn er würde nichts mit sich nehmen außer seiner persönlichen Ausrüstung und jenem Becher, den ihm die Torgauer zu seinem Geburtstag geschenkt hatten. Das war keine zwei Wochen her, und doch schien seither eine Ewigkeit vergangen zu sein.
Schon wieder hatte er alles verloren. Nach seiner Rückkehr aus Russland musste er den König um zweitausend Taler Vorschuss bitten, um sich neu auszurüsten und dem Juden in der Dresdner Friesenstraße das geliehene Geld zurückzuzahlen. Der aus Tuschkau nach Pogromen geflüchtete Wolf Levy hatte vielen Offizieren beträchtliche Darlehen gegeben, damit sie sich für den Russlandfeldzug ausstatten konnten. Die meisten würden nicht zurückkehren, deshalb wollte wenigstens Thielmann umgehend seine Schulden begleichen. Levy weigerte sich beharrlich und gegen die Meinung seiner recht energischen Frau, von den Familien der in Russland Gefallenen das geliehene Geld zurückzuverlangen. »Sie haben bereits bezahlt. Mit ihrem Leben«, erklärte er. »Ich wurde aus meiner Heimat vertrieben und fand in Sachsen eine neue, ich machte mein Vermögen mit Armeeaufträgen. Da werde ich dieses Opfer bringen, um nicht als undankbar zu gelten.«
Als Aster fort war, schrieb Thielmann an seine Frau. Sie solle die Kinder nehmen, auf der Stelle Dresden verlassen und mit ihnen zu ihrer Schwester nach Teplitz fahren. Womöglich waren sie nun nicht mehr sicher in Dresden. Und so konnten sie den Anfeindungen und Verleumdungen aus dem Weg gehen, die unweigerlich auf seine Entscheidung folgen würden.
Alles in ihm drängte danach, vor seinen König zu treten, um sich zu rechtfertigen. Aber er konnte nun nicht mehr bei seinem Herrscher vorstellig werden, ohne ihn vor den Franzosen zu kompromittieren. Wenn er das Land sofort verließ, konnte der König alle Schuld auf ihn schieben.
Diesen letzten schweren Dienst wollte er aus Treue zu Friedrich August von Sachsen noch leisten. Auch wenn man ihn dadurch wohl auf ewig zum Sündenbock für alles machen würde, was nun an Blutvergießen folgte.
Aber seine Familie sollte so wenig wie möglich darunter leiden. Seine Söhne sollten sich nie vorwerfen lassen müssen, ihr Vater sei ein Verräter oder Feigling gewesen.
Dann nahm er ein weiteres Blatt, auf dem er von Steindel das Kommando über Torgau übertrug, und noch eines, in dem er dem König lakonisch mitteilte: »Die Festung ist übergeben. Eurer Königlichen Majestät lege ich meine zweiunddreißigjährigen Dienste hiermit alleruntertänigst zu Füßen.«
Dann war alles getan, was ihm zu tun blieb.
Er räumte Schreibzeug und Pistole beiseite und wartete ungewohnt ruhig darauf, dass sich sein Generalstab zur befohlenen Zeit einfand.
»Ich sollte Sie unter Arrest stellen!«, brüllte Generalleutnant Sahrer von Sahr, als Thielmann Viertel vor sechs den Stabsoffizieren seine Entscheidung eröffnete.
»Glauben Sie, Sie finden hier jemanden, der sich dazu hergibt?«, erwiderte Thielmann in eisiger Herablassung. Die Mannschaft würde ihm vielleicht nicht zu den Alliierten folgen, aber gegen ihn die Hand erheben würde niemand. Daran ließen auch die Mienen der Versammelten keinen Zweifel.
Von Sahr erkannte, dass ihm eine Blamage drohte, und gab zähneknirschend Ruhe.
»Verlassen Sie uns nicht in dieser schweren Stunde!«, beschwor der Oberleutnant von Dreßler den
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