1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
rangen mit sich, ob sie die nun doch offensichtlich scheinende Affäre aus patriotischen Gründen verurteilen oder gutheißen sollten.
Es gab da einen stillen Wettbewerb zwischen Polen und Sachsen, welches Land die schönsten Frauen vorweisen konnte. Und wenn die Polen Napoleon schon die zugegebenermaßen umwerfende Maria Walewska zu bieten hatten, war da Sachsen nicht geradezu aufgefordert, eine ebenbürtige …?
Genau an der Stelle verhakelten sich die Gedanken der Vornehmeren unter den Zuschauern oder wurden jäh unterbunden, um nicht ins Frivole zu entgleiten. Immerhin, sie war eine Gräfin! Und derzeit eine Gräfin von nicht zu unterschätzendem Einfluss. Es war wohl klug, sich nicht mit ihr anzulegen.
Ganz anderen, finsteren Gedanken hing der unglückliche König nach, dem der Weg zu seinem Residenzschloss noch nie so lang vorgekommen war. Ich musste so handeln, um meiner braven Untertanen willen, dachte Friedrich August in einem fort.
Den Zuschauern, die das Spalier zu beiden Seiten der Straße bildeten, entging der wenig glückliche Gesichtsausdruck des Regenten nicht.
»Unser guter König wird doch wohl nicht krank sein?«, fragte eine Putzmacherin, die für den Empfang des Herrscherpaares ihre Aufträge beiseitegelegt und den Laden doppelt abgeschlossen hatte. Hastig schlug sie ein Kreuz und musterte mit Unbehagen die grimmigen Mienen der Männer von Napoleons Alter Garde unter ihren großen Bärenfellmützen.
Doch Augenblicke später war ihre Aufmerksamkeit ganz und gar gefangen vom Hut der Gräfin von Kielmannsegge. So etwas trug man also derzeit in Paris! Sie würde gleich nachher damit beginnen, ein paar ähnliche Stücke zu entwerfen. Jede der feinen Damen würde so einen haben wollen! Krieg oder nicht, in Dresden fand sich immer Kundschaft für edle Roben und Accessoires.
Als der festliche Zug das Königliche Schloss erreichte, entdeckte der König zu seiner großen Erleichterung endlich ein lang ersehntes, vertrautes Gesicht: hager, faltig, mit Adlernase und durchdringendem Blick.
Eifrig drängte sich der dürre alte Graf Marcolini vor die beiden Herrscher und verneigte sich fast bis zur Erde.
War die Kielmannsegge die schönste Frau Dresdens, so war Marcolini vermutlich der reichste Mann Dresdens – nach dem König, versteht sich, obwohl man da nicht sicher sein konnte, denn unter Marcolinis Obhut stand auch die Privatschatulle des Königs.
Dass sein Grafentitel nicht echt war, wusste ganz Dresden, auch wenn es niemand laut auszusprechen wagte.
Der »Graf« war in beider jungen Jahren Page des jetzigen Königs gewesen und hatte sich so geschickt das Vertrauen des noch unsicheren Prinzen erschmeichelt, dass dieser fortan in allen Dingen auf ihn hörte. Er hatte ihn auch gelehrt, dass helle Köpfe an einem Hof nicht dienlich seien. Entsprechend sah es am sächsischen Hof aus. Und er hatte ihm seinen Abscheu vor allen praktischen militärischen Dingen beigebracht, denn Mut zählte gerade nicht zu den herausragenden Eigenschaften des falschen Grafen.
Wie eine Spinne hockte Marcolini im königlichen Palast und hatte es verstanden, mehr Ämter zu ergattern als jemand vor ihm: Hofrat, Wirklicher Geheimer Rat, Kabinettsminister, Generaldirektor der Künste und Kunstakademie und nun auch noch Direktor der Meißner Porzellanmanufaktur. Niemand kam an ihm vorbei, der zum König wollte; niemand drang zum König vor, der Marcolini nicht gefiel. Keine Lieferung an den Hof oder das Militär, die nicht durch seine Finger ging und
seinen
Reichtum mehrte.
So konnte er sich ein Palais in der Friedrichstadt leisten, einen Prachtbau mit pikanter Geschichte: zunächst als Sommersitz für die Fürstin von Teschen gebaut, die Mätresse von August dem Starken, bevor die künftige Gräfin Cosel sie aus dem kurfürstlichen Lotterbett vertrieb, dann Eigentum des allmächtigen Grafen von Brühl und nun im Besitz des durchtriebenen Marcolini, der ebenso wie die Kielmannsegge zu den glühendsten Verehrern Napoleons in Sachsen gehörte.
Friedrich August stieß sich nicht am fragwürdigen Charakter und der noch fragwürdigeren Herkunft seines Vertrauten. Endlich jemand, der ihn nicht im Stich gelassen hatte und der ihn darin bekräftigen würde, dass es richtig sei, wieder auf französische Seite überzuwechseln!
Napoleon hatte seine Verbündeten stets großzügig belohnt.
Er musste versuchen, ihm die gleichen Zusagen abzuringen wie zuvor Österreich: die Integrität des Königreichs Sachsen und dazu Erfurt,
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