1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Buchhandlung zu haben. Eduard wusste, wo die gefährlichen Schriften versteckt waren, und fühlte sich voller Stolz als Wachposten.
Und endlich konnte er noch mit jemandem vor dem Einschlafen bis in die Nacht sprechen! Zwar war Franz erst zehn, doch immerhin hatte er auf seiner gefährlichen Reise von Weißenfels hierher allerhand gesehen und erlebt. Das wog in Eduards Augen den Mangel auf, dass er noch fast ein Kind war.
Johanna hatte ihnen nicht erlaubt, eine Kerze anzuzünden, und so flüsterten und wisperten sie jeden Abend im Dunkeln, bis ihnen die Augen zufielen, schmiedeten Pläne, wie die Besatzer aus dem Haus und aus dem Land getrieben werden konnten, oder spekulierten darüber, wann die Preußen und Russen endlich zurückkämen, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.
»Das hättest du sehen müssen – die Kosaken, was die für Pferde haben! Und was sie für Kunststückchen im Sattel anstellen, unglaublich!«, schwärmte Eduard dem Cousin vor, als sie am ersten Abend die Unterbetten auf dem Boden ausbreiteten. »Da waren auch Kalmücken bei denen. Keine Ahnung, wo deren Heimat liegt, irgendwo in Asien. Kannst du dir vorstellen, wie lange es wohl dauert, von Asien bis hierher zu reiten?«
Er zog ein ausgebeultes feines Leinentuch aus der Hosentasche, schlug es auseinander und zeigte stolz seine Beute. »Hier, Küchlein! Hab ich aus der Küche stibitzt.«
Begeistert nahm sich Franz die Hälfte der Stücke und stopfte sie sich in den Mund.
»Diese Kalmücken, die schießen noch mit Pfeil und Bogen statt mit Gewehren«, erzählte Eduard, ebenfalls mit vollen Backen kauend. »Aber wie die treffen! Sie schossen um die Wette Tauben vom Lißkirchnerhaus – du weißt schon, das Haus mit dem höchsten Dach am Obermarkt. Jeder Schuss traf! Ungelogen!«
»Was haben die für Uniformen?«, fragte Franz voller Neugier. So etwas war wichtig zu wissen, wenn man sich keinen Ärger einhandeln wollte.
»Das sind keine richtigen Uniformen, denke ich«, meinte Eduard und wischte sich die klebrigen Hände am Hintern ab. »Weite Hosen, darüber einen Kittel und komische Mützen mit Fellbesatz … Sie sehen aus, als kämen sie aus einem Fabelland. Bevor sie hier einrückten, hieß es ja auch, sie seien Fabelwesen und gar keine richtigen Menschen. Kal
mücken
« – er sprach das betont langsam aus –, »darunter stellt man sich doch keine Menschen vor! Aber Vater hat diesen Aufsatz über sie gedruckt, über ihre Sitten und Gebräuche, und darin steht, dass sie Menschen sind wie wir. Jedenfalls haben sie zwei Beine, zwei Arme und so weiter und vermutlich auch eine unsterbliche Seele. Erzähl das bloß keinem von den Franzosen!«
Beinahe bereute er es, dem Cousin etwas von dem Sonderdruck gesagt zu haben. Würde sich Franz verplappern?
»Als ob ich denen was verraten würde!«, meinte der Jüngere verächtlich. Dann setzte er sich noch einmal auf, zögerte kurz und wisperte: »Kannst du ein Geheimnis bewahren?«
»Natürlich, Ehrensache!«, erwiderte Eduard sofort, wenn auch etwas geringschätzig. Was konnte ein Zehnjähriger schon für Geheimnisse haben?
»Schwöre es!«
»Ich schwöre«, sagte Eduard feierlich mit erhobener Hand.
Nun sprach Franz so leise, dass sich Eduard zu ihm beugen musste, um etwas zu verstehen.
»Weißt du, dass meine Schwester einen Franzosen erschlagen hat? Das hat sie, bei Gott, ich hab es gesehen. Aber erzähl es ja niemandem weiter!«
Erschrocken ließ sich Eduard auf das liederlich aufgetürmte Federbett sinken. Das hätte er nie gedacht! Jette, die zarte, süße Jette! Es wollte in seiner Phantasie einfach kein passendes Bild auftauchen.
Eine Weile sagte er gar nichts, sondern überlegte, womit er angesichts solcher Eröffnungen seine Cousine überhaupt noch beeindrucken konnte. Dafür musste er sich wohl eine besondere Heldentat ausdenken.
»Wir müssen mehr Zeit bei Lisbeths Söhnen zubringen«, entschied er schließlich. »Wenn du aus der Schule kommst und ich mit meiner Arbeit in der Druckerei fertig bin, müssen wir jeden freien Augenblick nutzen, um von ihnen das Reiten zu lernen. So können wir Eindruck machen bei den Militärs. Vielleicht nehmen sie uns dann bei den Alliierten … Die brauchen doch nun jeden Mann. Und wir helfen, das Vaterland zu befreien!«
Franz fand diesen Plan großartig. Die Knabenschule, bei der ihn sein Oheim angemeldet hatte, war langweilig, und die Jungen in seiner Klasse die reinsten Kinder.
»Aber wir dürfen Karl und Anton nicht sagen, dass wir zu
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