1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
kannten und wussten, wie der andere dachte?
Napoleon Bonaparte hatte sich auf eine Trommel gesetzt und blickte, von seiner Alten Garde umringt, vom Schafberg aus auf ein imposantes Bild: wie seine Truppen ins Tal hinabströmten, wo ganze Dörfer in Flammen standen, und wie seine Artillerie von allen Seiten auf den abziehenden Feind feuerte.
Trotzdem war der Kaiser der Franzosen nicht zufrieden.
Natürlich hatte er gesiegt. Wie immer. Doch der Feind war nicht zerschmettert, nicht restlos zerschlagen, wie er es geplant hatte. Stattdessen in Reih und Glied einfach abmarschiert, unter dem gleichmäßigen Schlag der Trommeln.
Und er, Napoleon, hatte weder Gefangene gemacht noch Geschütze erbeutet! Stattdessen fünfundzwanzigtausend Mann in zwei Tagen eingebüßt!
Allein Oudinot hatte siebentausend Mann verloren, Ney sechstausend, nur für ein paar Meter in einem Wald oder ein winziges Dorf, in dem nun kein Haus mehr stand.
Immerhin, die sechstausend Mann der sächsischen Armee, die nach den Torgauer Querelen endlich wieder seinem Befehl unterstand, hatten ihre Nützlichkeit im Kampf gegen die Preußen unter Beweis gestellt, ebenso die württembergische Division, die eintausendsiebenhundert Mann verlor. Besser Rheinbundblut vergossen als französisches.
Aber der Sieg war nicht vollkommen.
Ney hatte Fehler gemacht und seinen genialen Plan sabotiert; er war zu spät gekommen und dann auch noch in die falsche Richtung geschwenkt, sonst hätten heute kein Preuße und kein Russe das Feld verlassen.
Und nun weigerten sich auch noch seine Generäle, die ihm äußerst selten widersprachen, den abziehenden Gegnern nachzusetzen.
»Hä?«, brüllte er sie an, sah ansonsten furchtlose Männer zusammenzucken und hörte sich mit wachsendem Zorn ihre Litanei an: Die Truppen seien nach zwölf Stunden Kampf vollends erschöpft, die jungen Rekruten größtenteils krank oder unterernährt, die Kavallerie nicht mehr einsatzfähig. Und jetzt ging auch noch ein Gewitter nieder, weshalb man bald die Hand nicht mehr vor den Augen sehen konnte.
Er wusste, dass sie recht hatten. Doch nur dank der stummen Mahnung im Blick seines Großmarschalls und Vertrauten Duroc gab er schließlich knurrend nach.
Morgen, ja morgen, da würde er die Russen und Preußen endgültig das Fürchten lehren …
Auch Zar Alexander war nicht zufrieden.
Blücher hatte ihn übergangen, als er am helllichten Tag den Rückzug anwies, und damit seine Autorität als oberster Befehlshaber untergraben. Es spielte keine Rolle, dass sich der Rückzug nun als richtig erwies. Das war eine Unverschämtheit von dem alten Starrkopf!
Insgeheim allerdings musste sich Alexander eingestehen, dass er heute mehrere verheerende Fehlentscheidungen getroffen hatte. Dabei wollte er doch als großer Feldherr in die Geschichte eingehen!
Wittgenstein, nominell
noch
Oberbefehlshaber der Kaiserlich-Russischen Armee, war alles andere als zufrieden – er war tödlich beleidigt. Der Zar hatte seine Entscheidungen getroffen, ohne ihn zu konsultieren, hatte ihn demonstrativ ignoriert, bis er, Wittgenstein, ebenso demonstrativ vom Platz gegangen war.
So lief es derzeit im Hauptquartier der Alliierten.
Auch Friedrich Wilhelm, König von Preußen, war ganz und gar nicht zufrieden, als er Seite an Seite mit dem Zaren Richtung Osten ritt.
Er hatte erwartet, nach Ablauf dieser Schlacht endlich wieder gen Westen ziehen zu können. Stattdessen musste er schon wieder über die Neiße!
Und es missfiel ihm äußerst, dass Alexander ständig die Heeresführung an sich reißen wollte. Nur mit Mühe hatte Knesebeck den Zaren von der Richtigkeit des Rückzugs überzeugen können und eiligst die entsprechenden Befehle für sämtliche Korps ausgefertigt. Sonst wären sie jetzt allesamt verloren.
Friedrich Wilhelm konnte die Gegenwart des russischen Monarchen von Tag zu Tag weniger ertragen. Hatten sie nicht einst am Sarg des Großen Friedrich ewige Freundschaft geschworen? Doch dann schloss Alexander in Tilsit pompös Frieden mit Bonaparte, während er als König von Preußen wie ein dummer Schuljunge abseitsstand und zuschauen musste!
Vor allem aber hatte Alexander
seiner
Luise schöne Augen gemacht, und
das
würde er ihm nie verzeihen. Seine unvergessliche, einzige Liebe war auf diesen Pfau hereingefallen. Ihm zum Hohn hatte Bonaparte Luises schwärmerische Briefe an Alexander auch noch veröffentlichen lassen. So war er, der König von Preußen, vor aller Welt zum Gespött
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