1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
schrie der Gefreite Kleinschmitt, der schon 1806 in Jena dabei gewesen war und sich vor nichts zu fürchten schien. Seine rechte Gesichtshälfte war aufgerissen und blutete.
Der Premierleutnant drehte sich um, schaute in die Richtung, in die Kleinschmitt wies, und fluchte leise vor sich hin.
Jetzt hatten sie Bonapartes gefürchtete Garden vor sich, daneben im Westen das Korps Marmont, im Norden das Korps Soult, und gerade zogen von Nordosten weitere feindliche Regimenter auf, vermutlich unter dem Befehl Neys. Sie waren von drei Seiten umzingelt, und die nördlichen Truppen rückten unerbittlich gegen sie vor.
Seine Taschenuhr, ein Geschenk seines Vaters zum Eintritt in die preußische Armee, war beim Kampf um Preititz kaputtgegangen. Dem Stand der Sonne nach musste es etwa drei Uhr sein.
Trepte suchte Blickkontakt zum Kompanieführer, der auch schon den erwarteten Befehl weitergab: »Bataillon soll chargieren – geladen!«
Trepte erteilte das Kommando an seinen Zug. In synchronen, vielfach geübten Bewegungen zog jeder seiner Männer mit der rechten Hand eine Kartusche aus der Kartuschentasche, biss sie ab, schüttete Pulver auf die Pfanne und in den Lauf, drückte mit dem Zeigefinger die Kugel hinein, griff nach dem Ladestock und stieß die Kugel auf den Boden des Laufs.
»Chargiert!«
Die Männer des zweiten Glieds traten jeder einen Schritt nach rechts, um auf Lücke versetzt zur vordersten Linie schießen zu können, das dritte Glied trat einen Schritt zurück.
»Fertig! An! Feuer! Geladen!«
Zufrieden sah Trepte, dass seine Männer schnell und sicher die Kommandos befolgten. Jeder Handgriff saß. Ihnen blieben nur ein paar Schuss, dann mussten sie mit dem Bajonett in den Nahkampf.
Das war es also, dachte Trepte und zog seinen Degen. Sofern nicht binnen weniger Minuten der Rückzugsbefehl kam, würden sie von der Übermacht der Grande Armée eingeschlossen sein.
Wir werden es denen nicht leichtmachen, dachte er grimmig und umklammerte dabei den Griff seines Degens so heftig, dass seine Fingerknöchel weiß wurden. Wir werden ihnen zeigen, wie Preußen kämpfen können. Davon soll man noch lange reden!
Eine kleine Armee, zum größten Teil erst vor ein paar Wochen auf die Beine gestellt, und Russen nach Tausenden Meilen Marsch gegen eine Streitmacht, die sich Bonaparte aus fast ganz Europa zusammengeklaubt und zusammengezwungen hatte: nicht nur Franzosen, sondern auch Italiener, Spanier, Dänen, Polen und – was er als besonders bitter empfand – Deutsche: Württemberger, Westphalen, Badener, Hessen, Bayern und Sachsen.
Zum ersten Mal an diesem Tag, für einen kurzen Moment, musste er wieder an dieses außergewöhnliche sächsische Mädchen denken, das sich im Freiberger Notlazarett auf dem Markt um ihn und seine Männer gekümmert hatte. Sie wagte es, preußische Verwundete zu pflegen, selbst als die Franzosen schon in die Stadt einbrachen, und hatte das mit Mut und Herzenswärme getan. Und sie liebte Bücher; das war fast alles, was er von ihr wusste außer ihrem Namen. Aber er hatte gespürt, dass sie voller Trauer war und an einer Last trug, unter der sie fast zerbrach.
Ob sie seinen Brief erhalten hatte? Ihn vielleicht gerade in diesem Augenblick in den Händen hielt?
Nun würde er sie nie wiedersehen. Das bedauerte er von ganzem Herzen. Ihm blieb nur zu hoffen, dass sie in Sicherheit war, dass niemand von ihren Landsleuten sie an die Franzosen verriet. Dafür sprach er in Gedanken ein Gebet.
Und für seine Eltern, die vielleicht an einem Tag alle drei Söhne verlieren würden.
Doch ganz gleich, wie dieser Tag, wie diese Schlacht hier enden mochte; wenn er fiel, wenn sie alle fielen – für jeden Toten würden neue Männer in die Reihen treten, damit das Land endlich frei wurde. Das war seine feste Überzeugung.
Hundert Schritt von Maximilian Trepte entfernt auf den Kreckwitzer Höhen standen General Blücher und sein Stabschef Neidhardt von Gneisenau, der diesen Posten übernommen hatte, seit Scharnhorst auf die Reise nach Prag gegangen war, um mit den Österreichern über den Seitenwechsel zu den Alliierten zu verhandeln.
Auch sie sahen, dass der Feind sie nun von drei Seiten umschloss, und benötigten nur einen einzigen Blick zur Verständigung.
Der Form halber fragte Gneisenau: »Rückzug?«
»Jawoll, Rückzug! Sofortigen Rückzug anordnen!«, blaffte Blücher ihn mit geballter Faust an.
August Neidhardt von Gneisenau atmete erleichtert auf. Bekanntermaßen hielt der alte
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