1819 - Der vergessene Templer
etwas ein. »Wenn er so denkt, dann ist es wohl besser, wenn Sie sich von mir fernhalten, Mister Corman. In meiner Nähe zu sein könnte für Sie sehr gefährlich sein.«
»Danke, dass Sie so denken, Mister Sinclair. Aber ich bin ein alter Mann und habe mein Leben hinter mir. Da müssen Sie sich wirklich keine großen Sorgen machen.«
»Trotzdem ist es besser, wenn Sie nach Hause gehen und dort auch bleiben. Schließen Sie sich ein und warten Sie, bis alles vorbei ist.«
»Okay, Mister Sinclair, weil Sie es sind.«
»Danke.«
Wir hatten zwar geredet, aber ich hatte mich nicht so stark ablenken lassen, als dass ich die Umgebung aus den Augen gelassen hätte. Es war nichts passiert.
»Wo kann ich Sie hinbringen?«
»Wollen Sie wirklich mein Aufpasser sein?«
»Ja, es ist besser so.«
»Also gut.«
Ich war froh, dass er zugestimmt hatte. So hatte ich freie Bahn, wenn er in sein Haus zurückgekehrt war. Er gab die Richtung an, in die wir zu gehen hatten.
Okay, ich war schon hier gewesen, aber ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie es genau ausgesehen hatte.
War das ein Zufall? War es ein Zeichen, dass es zum großen Finale auf Sinclair Castle kommen würde? Es konnte stimmen und wäre der Höhepunkt einer besonderen Dramaturgie.
Lester Corman hatte nichts von einer Richtungsänderung gesagt, nachdem wir den Burghof durch die breite Lücke in der Mauer verlassen hatten, und so ging ich weiter. Ich war wieder auf dem Weg gelandet, der von der Burg zur Ansiedlung führte, und ich fragte mich, in welchem der Häuser Lester Corman wohnte. Ich wollte ihn danach fragen, blieb stehen und blickte zur Seite. Er war an meiner rechten Seite gegangen, doch da war er nicht mehr.
Im ersten Moment war ich überrascht und fragte mich, ob ich vielleicht zu schnell gegangen war, sodass Corman nicht mitgekommen war.
»Okay, John Sinclair«, sagte seine Stimme aus der Dunkelheit hinter mir, »den Rest musst du allein schaffen, und das wirst du, denke ich. Wenn du ihn vernichtet hast, werde auch ich meine Ruhe haben. Ich will nicht mehr in einer Zwischenwelt leben. Die Toten gehören ins Jenseits.«
Ich war überrascht. Mir fiel es nicht leicht, eine Frage zu stellen. »Wer bist du wirklich, Lester Corman?«
»Einer, der seine Ruhe finden will, und das für immer.«
»Und warum ist das nicht schon längst so geschehen?«
»Ich habe mich schuldig gemacht. Auch ich habe gemordet. Damals, vor langer Zeit. Man hat mich als Henker genommen, wenn kein anderer zur Hand war. Ich habe Diaz töten sollen, aber das ist mir nicht möglich gewesen. Es tat ein anderer für mich. Ich habe nur zugesehen, aber ich fand keine Ruhe. Der Templer hat alle verflucht, und so hat auch mich der Fluch getroffen. Ich bin ein Zeuge, ein Wissender, und ich habe meine Strafe erhalten. Ich fand keine Ruhe, und jetzt hoffe ich, dass ich sie finden werde.«
Es war seltsam. Ich ging auf ihn zu. Dafür musste ich ein paar Schritte zurückgehen.
Vor mir stand ein lebendiger Mensch und kein Geist. Aber er hatte so ungewöhnlich reagiert, und das konnte ich nicht vergessen. Was war nur mit ihm los?
»Wer bist du wirklich?«, fragte ich.
»Ich bin normal, John Sinclair. Allerdings bin ich auch der Wirtskörper für einen Geist …«
»Der dann aus dir gesprochen hat.«
»Ja.«
»Und wer ist dieser Geist?« Ich stellte die Frage, obwohl ich schon eine Ahnung hatte.
»Ein Vorfahr von mir. Er war damals dabei und hat nach seinem Tod keine Ruhe gefunden. Erst wenn Diaz tot ist, wird es sich bei ihm ändern, denke ich.«
Ich nickte. »Das ist es. Jedenfalls bedanke ich mich. Der Rest ist dann meine Sache.«
»Ja, das ist es. Tu uns einen Gefallen, John Sinclair. Erlöse die Menschen von dem Fluch.«
»Ich werde es versuchen«, sagte ich mit fester Stimme …
***
Nach der Trennung von Lester Corman ging ich allein zurück zur Ruine von Sinclair Castle, und es dauerte nicht lange, bis ich wieder mitten auf dem Burghof stand.
Von hier schaute ich mich um. Ich wollte ihn sehen, ich wusste, dass er auf mich wartete, aber ich war auch froh, dass ich von Lester Corman die ganze Wahrheit erfahren hatte. Der Geist eines Vorfahren hatte keine Ruhe gefunden und ihn als einen Wirtskörper ausgesucht. So etwas gab es.
Ich legte den Kopf leicht zurück und schaute zum Himmel. Der Mond strahlte in kalter Pracht. Bestes Vampir- und Werwolfwetter, dachte ich noch.
Wo sollte ich hin? Wo sollte ich mich ihm zeigen? Nirgendwo. Ich stand auf dem alten Burghof in der
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