182 - Im Dorf der Telepathen
Stich gelassen.« Er schnippte mit den Fingern. »Seit Xordimor fort ist und sich niemand mehr verstecken muss, geht es den Leuten aber erheblich besser.« Er spitzte die Lippen.
»Ich glaube, ihre Pein lag an dem Wasser, das sie im Keller von den Wänden geleckt haben.«
Malie schüttelte sich. Sie erinnerte sich gut an die Schmerzen der im Turmkeller winselnden Prüflinge. Der Weiße Ritter hatte sie als Versager bezeichnet, als unwürdig, in die Legion einzutreten. Damit der Feind sie nicht verwenden konnte, sollten sie in der Traumzeit verbleiben.
Von Aruula hatte Malie gehört, wer der Feind war, doch sie hatte ihr nicht geglaubt: Außerirdische, die auf der Erde lebten und Menschen imitierten, hatten ihre Phantasie überstiegen.
Sie hielt es allerdings nicht für verwerflich, gegen die Daa’muren vorzugehen: Sie hatten die Erde verwüstet, die menschliche Zivilisation vernichtet und einen nuklearen Winter hervorgerufen. Kürzlich hatten sie – aus welchen Gründen auch immer – zahlreiche Atombomben zur Explosion gebracht.
Es war ja sogar in Ordnung, wenn der Widerstand von einer anonymen Macht organisiert wurde. Es war aber nicht in Ordnung, wenn diese Macht so tat, als stünde sie über den Dingen und könne über die Menschen verfügen.
Es war nicht Recht, Menschen einzubeziehen, ohne sie zu fragen. Es war nicht Recht, ihr Einverständnis einfach vorauszusetzen. So wie die Macht die Telepathen geprüft und die Ungeeigneten in diesen Traumzeitkerker hatte, musste sie sich einen fragwürdigen Charakter vorwerfen lassen.
Schon während der ersten Begegnung mit dem Weißen Ritter hatte Malie sich übervorteilt gefühlt. Sie wollte kein Ding sein, über das man verfügte.
»Wie sieht deine Zukunft aus, Theopheel?« Malie stand auf. Eins der Felle war dünn und schwarz. Es schien von einer Raubkatze zu stammen und entpuppte sich als Mantel. Sie schlüpfte hinein. Er reichte ihr bis an die Knie.
»Ich bin völlig ratlos. Sag du es mir.«
Malie durchquerte den L-förmigen Raum. Er war sparsam möbliert. Sie war im kürzeren Teil des »L« erwacht. Am anderen Ende, neben der Tür, knisterte das Kaminfeuer. Kerzenschein. Malie fragte sich nicht, wieso es neunundneunzig Jahre nach der Versiegelung des Turms noch Kerzen hier gab. Vermutlich brannten sie – wie die Scheite im Kamin – nie herunter.
In diesem Universum galten keine Naturgesetze. Hier diktierten andere Kräfte die Haltbarkeit der Dinge.
Ihr Schwert lag auf einem von Sesseln umgebenen Tisch. Sie nahm es an sich und schaute sich um.
Theopheel stand an einem der drei Fenster.
Draußen herrschte Nacht. Wieso eigentlich? Die neunundneunzig Jahre waren abgelaufen. War der Fluch damit nicht aufgehoben? Musste mit Xordimors Freilassung nicht auch die Sonne wieder scheinen?
Theopheel grinste verschmitzt, als sie ihn fragte. »Es ist Nacht. Morgen früh wird die Sonne schon aufgehen. Aber versprich dir nicht zu viel von ihr…«
Malie schüttelte sich. Als sie aus dem Fenster schaute, schneite es. Beim ersten Hiersein war ihr aufgefallen, dass der Schnee ungefähr stündlich fiel. Trotzdem wurde die Schneedecke nie höher als fünf Zentimeter.
»Ich finde, wir können die Spielerei jetzt lassen, Ahne«, sagte sie zu Theopheel.
Ihr Gegenüber wich zurück. Die Gesichtszüge des Hochstaplers zerflossen. Sein dunkles Haar wuchs auf seine Schultern herab und färbte sich weiß. Seine Gestalt wurde schlanker und größer. Nun hatte er das Gesicht des Weißen Ritters.
»Ich bin nicht der Ahne«, erwiderte er knapp. »Ich bin nur ein unbedeutendes Modul.« Er machte ein Geräusch, das wie ein Seufzer klang.
»Was bist du? Ein Hologramm?«
Die bleiche Gestalt lachte leise. »Fassen Sie mich an, Gnädigste«, verfiel er in die Sprache des Ritters.
»Lieber nicht.« Malie vergaß immer wieder, wo sie war. »Du bist vermutlich nur ein Bündel elektromagnetischer Impulse – wie ich.«
Der Weiße Ritter schüttelte den Kopf. »Eure Sprache hat keine Worte für mich.« Er trat näher und musterte Malie fast liebevoll. »Sie sind etwas völlig anderes. Vielleicht seid ihr deswegen so interessant für mich.«
»Du bist nur ein Rädchen im Getriebe?«
»Wenn ich die Metapher richtig verstehe, bin ich es wohl.«
»Aber du hast einen eigenen Willen?«
»Woraus schließen Sie das, Gnädigste?«
»Du spielst mit mir. Du ahmst andere Menschen nach, um mich zu täuschen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Macht, die über die Fähigkeit verfügt,
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